Kunst

Resensibilisierung

Das Internet ist ein Medium, noch mehr als das Fernsehen, das Oberflächlichkeit und Ungeduld fördert. In der Oberflächlichkeit kann durchaus Tiefe liegen. Geschwindigkeit ist nicht nur Eile, sondern bereitet auch Lust, ein Schwindeln, einen schwebenden Zustand zwischen Bewusstlosigkeit und Bewusstsein. Doch die Aufmerksamkeit ist immer geteilt. Der Blick schielt, ist gespalten, späht zur Seite, vom Anfang zum Ende, und springt von einem zum anderen. Wir werden vom Bewusstsein angetrieben, beim Versuch eine Gelegenheit zu nutzen eine andere zu verpassen… Doch manchmal hinterlässt der Schwindel eine merkwürdige Leere, einen Katzenjammer, der alles gleich und schließlich das Ganze sinnlos erscheinen lässt.

Durch eine Kunstausstellung gehe ich meistens, wenn ich genug Zeit habe, zweimal. Ein erstes Mal verschaffe ich mir einen Überblick, in dem ich an allen ausgestellten Werken nur flüchtig vorbeigehe. Beim zweiten Durchgang widme ich denjenigen Werken, die mich angesprochen haben, das bedeutet, dass sie mir entweder gefallen oder neugierig gemacht haben, mehr Zeit. Dann geht das Vorbeischauen in ein Anschauen über. Im subjektiven, vielleicht zufälligen Ausschnitt sehe ich ohnehin mehr Sinn als in objektiver Vollständigkeit. Eine Kunstausstellung ist ein Ort der Verlangsamung. (Im Alltag erfordert dies sich die Zeit einzuteilen.) Die Idee, Kunstwerke als Übungsgegenstand für die Wahrnehmung von Kunst zu betrachten, also für Verlangsamung, hat mich zunächst verblüfft, aber sofort überzeugt.

Eben dies legen die elf Übungen nah, die Olafur Eliasson für eine Ausstellung von drei großen ersten Malern des Abstrakten[1] im K20 der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf entwickelt hat. Die Installation ”Your Museum Primer“ stellt einen großzügig dimensionierten Übungsraum, in dem sich ein einfaches aber attraktives Lichtmobile dreht, zur Verfügung, um die verschiedenen Vorschläge auszuprobieren. Die Anleitung ”Your Exhibition Guide“[2] ist eine App mit den Übungen auf Englisch und auf Deutsch, die es für iOS und Android gibt und in den jeweiligen Online-Warenhäusern kostenlos heruntergeladen werden kann. Das Besondere an diesem Ausstellungsführer ist das Generische. Er enthält sich vollständig der Erklärung bestimmter Kunstwerke, vielmehr geht es darum grundlegende Wege aufzuzeigen, sich einem Kunstobjekt zu nähern. Es sind allgemeine Übungen der Sensibilisierung: Ansätze, Techniken, Hilfsmittel, für das Andere und für sich selbst (wieder) empfindsam, empfänglich zu werden.

1. Kandinsky, Malewitsch, Mondrian – Der weiße Abgrund Unendlichkeit. Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, K20.
2. Olafur Eliasson: Dein Ausstellungs-Guide. Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, K20.

31. Mai 2014 von Kai Yves Linden
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