Philosophie

Die beste aller Welten

Die Nachrichten des Tages aus der Welt, die neuesten Prognosen zur anthropogenen globalen Erwärmung, die Kriegsschauplätze der Welt, die Ausbeutung der Ärmsten ‒ die wir mit unserem Konsum mittragen ‒, die Allgegenwart des Mittelmäßigen, sowie beiläufige Einzelheiten des Alltags, die sonst noch dazu beitragen können, einem die Laune zu verderben, ließen mich an die Behauptung von Leibniz denken, wir lebten in der besten aller möglichen Welten.

Die berühmteste Replik des 18. Jahrhunderts auf seine (auf französisch verfasste) Théodicée ist Voltaires (vorgeblich von einem gewissen Dr. Ralph aus dem Deutschen übersetzte) Erzählung Candide, ou l’optimisme, deren Lektüre immernoch, den im Lauf der turbulenten Handlung berichteten verschiedensten Grausamkeiten (und auch einiger heute abstrus erscheinender Passagen, welche die Weltsicht des 18. Jahrhunderts spiegeln) zum Trotz, wegen ihres feinsinnigen, bisweilen beißenden Humors ein Vergnügen ist. Die Persiflage des philosophischen Optimismus lässt es schwierig, doch nicht ganz unermöglich erscheinen, dass der Mensch in der Lage sein könnte, sich und vielleicht sogar die Welt zu verbessern.

Leibniz‘ Voraussetzung eines nicht nur allmächtigen und allwissenden, sondern auch allgütigen Gottes ist eine Setzung, die über jene der Existenz Gottes weit hinaus geht. Der sich naiv gebende Kunstgriff reizt zur Kritik. Von den Prämissen abgesehen haben die Schlussfolgerungen des Mathematikers zudem einen Schönheitsfehler, der darin liegt, dass er einerseits von unendlich vielen möglichen Welten ausgeht – andererseits aber die Konsequenz scheut, dass es dann auch stets eine bessere als die beste Welt geben müsse. Dennoch enthalten die Ausführungen auch Aspekte, die mir – wie im Folgenden ins Agnostische übersetzt – durchaus erörternswert erscheinen:

  1. Das Gute und das Üble bedingen einander manchmal.
  2. Die Freiheit des Menschen besteht in der Entscheidungsmöglichkeit, Gutes oder Übles zu tun.

Der ersten These wird fast jeder aus eigener Erfahrung zustimmen müssen. Leibniz geht allerdings weiter, indem er dem Üblen, wenn es nicht menschlichen, sondern göttlichen Ursprungs sei, zubilligt das Beste zu sein ‒ eine These, die Voltaires satirischen Spott offenbar besonders gereizt hat. Lassen wir also den Gegensatz bestehen und Gott außen vor. Gegen die zweite These, welche die erste These notwendig bedingt, sträubt sich das dem Guten zugeneigte Denken, insbesondere da sie dem Bösen, dem absichtlich Üblen also, zur vermeintlichen Rechtfertigung dienen kann. Ohne die Allgüte Gottes erscheinen diese Thesen beliebig.

Dieser Beliebigkeit könnten wir zu entgehen versuchen, gewissermaßen in den heute fast verwehten Fußstapfen der Aufklärung, indem wir den Dualismus von Gutem und Üblem im Vernünftigen aufheben. Demnach wäre frei, wer in der Lage ist das Vernünftige zu tun. Dabei sehen wir, anders als dem kalten Verstand, der Vernunft ein Streben zum Guten zugrundegelegt. Allerdings erscheinen uns die Kategorien des Guten und des Üblen heute etwas angestaubt, fast bizarr. Auch Candides Werdegang stellt die verborgenen ihnen zugrundeliegenden Setzungen in Frage. Nun können wir die Widersprüche, die sich hier auftun, im Rahmen dieses kleinen Ausfluges in das 18. Jahrhundert kaum lösen. Deshalb schließe ich mit den Worten Candides: «Cela bien dit, mais il faut cultiver notre jardin.» („Gut gesagt, aber unser Garten muss bestellt werden.“)

29. September 2014 von Kai Yves Linden
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