Im Herbst sind immer besonders viele Pilze zu finden. Feuchtes und nicht zu kühles Wetter begünstigt, dass die meist nicht sichtbaren Vegetationskörper der Pilze Fruchtkörper bilden und der häufige Wind verbreitet die Sporen. In diesem Jahr haben mich die Fruchtkörper als inzwischen einigermaßen regelmäßigem Waldgänger besonders angezogen, nicht um sie zu essen ‒ zwar bereiten manche Pilze ungewöhnliche Geschmackserlebnisse, doch die meisten Pilze sind nicht oder kaum genießbar, viele sind giftig oder zumindest wegen ihrer Inhaltsstoffe bedenklich ‒ sondern nur um sie zu fotografieren. Es berührt mich, wie sich die Fruchtkörper in die Luft hineinstrecken ‒ oft mit Texturen, die an menschliche Haut erinnern ‒ aber bald vergehen.
Da bei zunehmender Nähe zum fokussierten Motiv die Schärfentiefe stark abnimmt, habe ich mich nach ersten Fotos darauf verlegt, mit Fokusstapelung zu experimentieren. Fokusstapelung (en Focus Stacking), die in der Makrofotografie häufig verwendet wird, besonders wenn es darum geht, kleine Objekte mit allen Einzelheiten wiederzugeben, hatte ich als Technik bisher nicht erwogen, weil sie mir „unfotografisch“ erschien. Sie entspricht zwar einerseits unserem Sehen, das ebenfalls eher synthetisch ist, da sich für uns immer ein insgesamt scharfes Bild zusammensetzt, andererseits wiederum nicht, da unsere Wahrnehmung auch selektiv ist, indem alles was uns unwichtig erscheint, gewissermaßen schemenhaft bleibt. Fotografie ist kaum ein optisches Abbild dessen, was wir wahrnehmen, sie ist eher eine Darstellung dessen, was wir sehen, und wenn sie gelingt, auch in weiterem Sinn von dem, was wir empfinden. Unschärfe ist dabei ein wesentliches Gestaltungselement, und die Verringerung der Schärfentiefe etwa durch die Wahl einer offeneren Blende ein wichtiges Hilfsmittel, um es herzustellen. Nun wollte ich die Pilze, die ich fand, mit allen texturalen Details und zugleich die Atmosphäre der Stelle im Wald wiedergeben, wo sie sich befanden. Die Möglichkeit, mehrere Aufnahmen innerhalb eines ausgewählten Fokusbereichs zu stapeln, bietet sich da wie von selbst an. Die Versuchsstellung bestand also darin, den Schärfebereich durch Fokusstapelung zu erweitern und den Bereich außerhalb der Motivebene in Unschärfe verschwimmen zu lassen.
Viele Kameras bieten Fokusklammerung (en Focus Bracketing) als Automatisierungsfunktion an. Weil die Schärfentiefe sich zum Motivabstand nicht konstant verhält, ist die Einstellung der Parameter nicht ganz einfach. Die Sony 𝛂7 IV zeigt symbolische Werte an, deren Auswahl durch Ausprobieren gefunden werden muss. Es gibt Spezialprogramme für die Fokuskombination, die ich nicht benutzt habe. Auf die allgemeine kreative Bildbearbeitung ausgerichtete Programme wie Affinity Photo, für das ich mich hier entschieden habe, weisen eine einfach zu bedienende Makrofunktion auf, um die Aufnahmeserie zu einem Bild zu kombinieren. Die Einzelbilder werden automatisch ausgerichtet und selektiv überblendet, wobei die Kombination der Bildteile durch Algorithmen zur Fokusdetektion wie z.B. unscharfe Maskierung oder Hochpassfilterung ausgesteuert wird. Bei der Auswahl der Bilder für die Fokuskombination ist der Schärfeverlauf ein Kriterium, das nicht zu vernachlässigen ist, wenn es darum geht, eine natürliche Wirkung zu erzielen – denn die Fokuskombination stellt in Bezug auf die Abbildungsfunktion eine Verzerrung dar, die dem Einziehen einer Geraden in eine Kurve entspricht. Dabei hilft es, die Bildebenen bei der Bildkomposition so zu staffeln, dass verschiedene Schärfeebenen entstehen. Manchmal erscheint es notwendig, manuell nachzuarbeiten, etwa für Teile des Hintergrunds eine andere Aufnahme aus der Serie auszuwählen. (Zur Fotogalerie→)