Musik
Weihnachtspfeifer
Wenn es ein Land gibt, das für mich mit Weihnachten konnotiert ist, dann ist es Italien. Das ist natürlich ganz subjektiv. Eine wesentliche Rolle spielen dabei die Pifferari (Pfeifer), die ich nur aus Überlieferungen mir vorstellen kann, weil ihre Zeit lange vor der liegt, die ich unmittelbar erleben kann. Im südlichen Italien kamen die Pifferari, nach der in den Bergen verbreiteten Sackpfeife auch Zampognari genannt, arme Bauern und Hirten, vom Land in die Städte, vor allem nach Rom, um sich in der Zeit vor Weihnachten (Novena di Natale) mit Ständchen etwas dazu zu verdienen.
Auch Hector Berlioz, meinen Lieblingsromantiker, nicht nur was seine Musik betrifft, hatten sie es angetan. Ihre Erscheinung gehörte zu den wenigen in Italien, die er als authentisch gelten lassen wollte. Er erkannte darin einen Überrest einer entfernten archaischen Antike. Heute werden diese weihnachtlichen Pastoralen oft verkitscht adaptiert – als Teil des allgemeinen Weihnachtsklimbims – in dem zumindest ein Rest festlicher Aufhebung des Alltags und Überhöhung des Einfachen wiedererkennbar bleibt – aber es gibt historische Aufnahmen vom Anfang des vergangenen Jahrhunderts, die wirklich anrührend sind. Im von Kommerz, Kitsch, Verfälschung und Vermatschung durchzogenen Web ist es nicht leicht ein einigermaßen authentisches Beispiel zu finden; um die wissenschaftliche Archivierung und Bereitstellung von kulturellen Quellen ist es gerade in Italien nicht besonders gut bestellt.
Unter drei kuriosen Gelegenheitsstücken für Harmonium aus der Feder von Berlioz – kurios in einem Gesamtwerk, das solistischer und kleiner Besetzung fast gänzlich entbehrt – befindet sich eine Überarbeitung seines Notats: Sérénade agreste à la Madone sur le thème des Pifferari romains. Die typische sich in sich drehende Halbimprovisation um wenige einfache Grundmotive mit unvermittelten Neuansätzen, wie ich sie aus Feldaufnahmen kenne, scheint mir gut wiedergegeben. Eine dem Komponisten gewidmete Liebhaberseite (hberlioz.com) stellt die Noten zur Verfügung.
(Augenzwinkernd: Der Philosoph des Autonomen, Theodor W. Adorno, war übrigens der Meinung, die beste Art Musik zu hören sei eine Partitur zu lesen. Vielleicht ist das heute noch mehr ein Ansatz, dem Diktat des Vorverdauten zu entkommen und sich etwas eigenständig anzueignen…)
Frohe Weihnachten!