Literatur

Erinnerungen um Nichts

Beckett Als ich im Herbst in Paris war, habe ich auch das Grab von Samuel Beckett auf dem Friedhof von Montparnasse besucht. Auf den Gräbern der prominenten Toten liegen oft Blumen oder andere Grabgaben. Auf dem Marmorblock, unter dem Samuel Beckett und seine Frau Suzanne liegen, fand ich eine Kreidezeichnung, die das für Beckett typische Paradox von Einfachheit und Bedeutungsoffenheit widergibt. Wird der Kopf die Augen öffnen? Wird die Lampe ausgeschaltet, eingeschaltet werden?

In Becketts Erzählungen und Texte um Nichts (Nouvelles et Textes pour rien) gibt es eine kurze Erzählung von einem Vagabunden, der in seinen Hosentaschen Kieselsteine aufbewahrt, sich mit der Hand immer wieder jedes einzelnen gesammelten Steins vergewissert, um ab und zu einen in den Mund zu nehmen und zu lutschen. Diese Erzählung vor allem hat mich 1979 (noch vor meinem Studium) zu einem Holzbläserquartett angeregt (in der etwas ungewöhnlichen Besetzung Oboe, kleine Klarinette, Altsaxofon, Fagott), dem ich den Titel Musique pour rien gab. Zwei Jahre später erschien es mir, dass mir das Stück teilweise etwas zu karg geraten war, und begann mit einer Neufassung, die ich allerdings zugunsten anderer Arbeiten wieder weglegte und dann nicht mehr fertigstellte.

Einfluss auf meine Beckett-Rezeption hatte auch ein von der Lektüre von Becketts Roman Malone meurt angeregtes Bild – es zeigt einen Mann, der nach dem Leben in Gestalt einer Frau greift – und ähnliche Bilder meines Vaters Karl Heinz Linden, die der von einem Unbekannten auf das Grab gelegten Zeichnung nicht unähnlich sind. Schon zur Zeit der Komposition des Bläserquartetts hatte ich aber in Becketts Texten auch eine Poesie gefunden, die eine zarte Wärme ausstrahlt und aus der Erinnerung an vergangenes Glück, die Hoffnung auf eine gute Wendung oder nur aus bei sich getragenen Kieselsteinen kommt. Der Abschnitt über das Dahindriften in einem Boot auf einem See mit einem Mädchen in Krapps letztem Band (Krapp’s Last Tape) ist eine Idylle aus luftiger Natur, erotischer Nähe und Zeitlosigkeit.

I lay down across her with my face in her breasts and my hand on her. We lay there without moving. But under us all moved, and moved us, gently, up and down, and from side to side.

29. Mai 2011 von Kai Yves Linden
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