Literatur

Verhaltene Glut

Tempered Ardor Große Lesefreude erfahre ich in letzter Zeit von einem kleinen Band, den ich im vergangenen Sommer bei einem sympathischen Buchhändler in L’Isle sur la Sorgue erworben habe – der Geburtsstadt von René Char. In dem Laden standen antiquarische Schätze neben Leseausgaben von Autoren des vergangenen Jahrhunderts, und natürlich eine Menge Bücher von und über Char. Ein Abschnitt des Bandes besteht aus Notizen, Aphorismen zur Poesie aus den Jahren 1936 bis 1974 – eine Art fragmentarische Poetik.

La réalité sans l’énergie disloquante de la poésie, qu’est-ce?
(Die Wirklichkeit ohne die zerlegende Energie der Poesie, was ist das?)

Le poème est l’amour du désir demeuré désir.
(Das Gedicht ist die Liebe des Begehrens, das Begehren geblieben ist.)

Bei dem letzten Aphorismus denke ich sofort an Mallarmé.

Dame sans trop d’ardeur à la fois enflammant […]
(Dame, nicht zuviel Glut auf einmal entfachend […])

Das liegt schon daran, dass ich dieses Gedicht einmal – vor inzwischen siebenundzwanzig Jahren – zu vertonen begonnen hatte. Es sollte ursprünglich das dritte der fünf Stücke nach Homages to the Square von Josef Albers werden, mit dem Titel Tempered Ardor. Nach den ersten anderthalb Seiten Partiturskizze entschied ich mich aber für ein anderes Bild als Vorlage (und einen anderen Text für die sechs Frauenstimmen). Den Anfang der Mallarmé-Vertonung hatte ich mir vorgenommen später umzuarbeiten und weiterzuführen, wozu ich aber nie gekommen bin.

16. April 2011 von Kai Yves Linden
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