Internet

Ausstöpseln

An sarkastische Witze kann ich mich mehr als zehn Jahren zurück erinnern, die auf die Vermutung anspielten, dass die NSA der größte Datenstaubsauger der Welt ist. Dennoch hat das Ausmaß der Überwachung und Bespitzelung, das die vom Whistleblower Edward Snowden der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Dokumente aufdecken, mich wie wohl die meisten von uns überrascht. Angesichts von geheimen Vereinbarungen zwischen der Nationalen Sicherheitsagentur der USA und Kommunikationsunternehmen, von Geheimgerichten, sowie des massiven diplomatischen Drucks, der von der Regierung der USA auf andere Regierungen ausgeübt wird, scheint es nicht übertrieben, wenn ein Intellektueller wie Hans Magnus Enzensberger am 18. August in einer Kultursendung im deutschen Fernsehen von postdemokratischen Zuständen spricht.

Es wäre ein Irrtum, die Bedrohung der Privatsphäre nur bei den Geheimdiensten oder ihrem Zugriff auf die Infrastruktur der großen Dienstbetreiber zu sehen. Unsere Daten werden zuerst zu kommerziellen Zwecken gesammelt und weitergeleitet. Firmen werden dabei immerhin von ihrem Interesse in Zaum gehalten, es sich nicht mit den Nutzern zu verderben (auch wenn diese nicht unbedingt ihre Kunden sind). Davon abgesehen aber hängt es vom gegenseitigen Respekt und dem Verantwortungsbewusstsein der Nutzer ab, wie privat private Inhalte sind und bleiben. Schutz der Privatsphäre ist deshalb im Internet stets nur vermeintlich. Im Internet ist grundsätzlich alles öffentlich.

Die Idee eines ephemeren, also flüchtigen, vergesslichen Netzes, wie sie etwa Sarah Perez in einem Blog-Beitrag in TechCrunch formuliert (http://techcrunch.com/2013/06/30/the-ephemeralnet/), scheint mir etwas naiv. Der Verzicht auf den bei den meisten Angeboten verlangten realen Identitätshinweis (sei es eine E-Mail-Adresse oder eine Mobilfunknummer) reicht nicht aus, um eine Anonymität herzustellen, welche die perennierende Verknüpfung von informellen Inhalten und der Personen, die sich über diese austauschen, ausschließt. Es gibt keine mündliche Kommunikation im Internet im Sinn eines unverbindlichen Austausches. Im Übrigen fließen auch stimmliche Äußerungen hier als Teil eines globalen Datenstroms vom Sender und Empfänger, von Automat zu Automat, möglicherweise irgendwo von Dritten abgefangen. Bei der Benutzung von Kommunikationsdiensten hinterlassen wir mehr Spuren als unseren Namen. Und Anbieter, die Vergänglichkeit von Mitteilungen versprechen, lügen schon deshalb, weil die Löschung der Inhalte von den Bereitstellern des Angebotes gar nicht garantiert werden kann: Die globale Persistierung im Internet sorgt dafür, dass vermeintlich Gelöschtes immer wieder auftaucht.

Deshalb scheint mir der Ansatz, Privates nur sparsam im Internet zu dokumentieren, weit besser geeignet, die Wahrscheinlichkeit eines Angriffes auf die Privatsphäre zu veringern. Manche stöpseln ihre Geräte schon mal ganz aus, mitunter für mehrere Tage, weil sie spüren, dass sie in die Gefahr einer Abhängigkeit geraten, wie etwa der amerikanische Komiker Baratunde Thurston (http://baratunde.com/). In einem Artikel in der Web-Ausgabe des Magazins Fast Company berichtet er von seinen 25 Tagen Ferien vom Internet (http://www.fastcompany.com/3012521/unplug/baratunde-thurston-leaves-the-internet). Unter dem Hashtag #Unplug sind außerdem Tipps für einen eigenen Ausstieg zu finden, sei es für einen Tag in der Woche oder für mehrere Tage hintereinander im Jahr. Unplugging ist eine Haltung, die keine grundsätzliche Ablehnung von digitalen Geräten beinhaltet, aber sich ein Leben neben der Digitalisierung zu bewahren versucht.

29. August 2013 von Kai Yves Linden
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