Philosophie

Ça a été

Manche semantische Inkongruenz bei der Übersetzung zwischen verschiedenen Sprachen ist ohne Zweisprachigkeit kaum aufzulösen. Einfache Missverständnisse lassen sich leicht aufklären. So spielt der Titel Die helle Kammer von Roland Barthes‘ letztem Buch[1] weniger auf die Dunkelkammer an (einen abgedunkelten Raum für die chemische Entwicklung und Belichtung analoger Bildträger, dessen Bezeichnung in der digitalen Fotografie zur Metapher für die elektronische Nachbearbeitung von Bildern geworden ist) als auf die Camera obscura, die primitivste Form einer fotografischen Kamera.

Schwieriger ist es mit dem Ça a été, mit dem Barthes den eigentlichen Inhalt oder Sinngehalt, das Noema der Fotografie benennt. Die wörtliche Übersetzung „Das ist gewesen” verzieht das Bedeutungsnetz in Richtung eines „Das ist vorbei”, das im Französischen durchaus mitschwingt, im Deutschen aber leicht einen sentimentalen oder sarkastischen Unterton erhält. Dem Übersetzer Dietrich Leube war dies offensichtlich deutlich genug im Bewusstsein: Er schuf stattdessen die Variante Es-ist-so-gewesen. Sein Kunstgriff besteht darin, an die Stelle des demonstrativen „das, dies” das schwächere Pronomen „es” in Verbindung mit einem Adverb „so” zu setzen, und auf diese Weise einen ungewohnten, folglich unbesetzten Ausdruck herzustellen. Die Bindestriche schweißen die Bestandteile enger zusammen und mildern nebenbei die Tendenz des „so” ab, sich betonend hervorzuheben. Dieses meint hier lediglich den Akt des Zeigens, der dem tautologischen Charakter entspricht, den Barthes der Fotografie am Anfang des Buches attestiert. Allerdings ist mir dies erst durch Nachvollziehen der Übersetzungsarbeit klar geworden, nachdem ich das französische Original gelesen habe, denn die deutsche Übertragung verstellt die Bedeutung des Ausdruckes ein wenig. Das originale Ça a été von Barthes besticht durch seine Einfachheit. Indem das französische Partizip Perfekt eindeutiger als im Deutschen eine abgeschlossene Vergangenheit anzeigt, verweist es auf den vergangenen, unwiederbringlichen Augenblick. Es ist also die Vergangenheit, das Vergangen-sein, welche eine Fotografie aus der bloßen Tautologie „Das ist so” erheben kann.

Der Sinngehalt von Reisefotos ist oft nur, wie in Abwandlung des von Barthes formulierten Noemas verschiedentlich (mehr oder weniger scherzhaft) bemerkt wurde: « J’y ai été » – Ich bin dort gewesen. Deshalb werden Sehenswürdigkeiten wohl immer wieder fotografiert, obwohl es genug Postkarten von ihnen gibt. Doch eine Kamera kann das Auge auch auf Dinge lenken, die nicht im Reiseführer stehen. Was mich betrifft, mache ich die meisten Fotos unterwegs, im Vorbeigehen, manchmal verwackeln sie. Das Verwackeln widerspricht dem Noema im Übrigen nicht, es legt nur einen Schleier auf das Ça a été. Ein Schleier, der den Akt des Fotografierens sichtbar macht, der aber – meistens – eher stört, weil uns beim Betrachten von Fotos weniger der Vorgang des Fotografierens – darin folgen wir Barthes – der Blick des Fotografen interessiert, als das, was uns aus dem Foto anblickt.

1. Roland Barthes: La chambre claire. Note sur la photographie. Paris 1980. (Deutsch: Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie. Frankfurt am Main 1985.)

22. Februar 2013 von Kai Yves Linden
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