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Grün mit weißer Spitze

Anthriscus sylvestris In diesem Jahr, nach ungewöhnlich vielen Regentagen im Frühling, waren seine an Spitzen erinnernden Blütengewebe aus weißen Dolden später als sonst erst im Mai an den Ufern der Südlichen Düssel zu sehen. Mittlerweile werden die Blüten des Wiesenkerbels (Anthriscus sylvestris) von Gräsern überwuchert. Bald beginnt der kalendarische Sommer. Wiesenkerbel, der an Wiesenrändern, Heckensäumen und Uferfluren gedeiht, ist essbar. Sein Geschmack, mit einem leichten Anklang an Möhre, ist herber als der des Gartenkerbels (Anthriscus cerefolium). Junge zarte Blattspitzen und die süßeren Blüten eignen sich als würzende Zutat in Salaten, Quarkspeisen und Kräutersuppen. Die an Kümmel erinnernden würzigen Samen reifen zwischen Juli und August und können als Küchengewürz oder, wie auch die Blüten, als Zutat für einen Butterbrotbelag verwendet werden.

Die Wirkstoffe der Pflanze sollen den Stoffwechsel anregen. Die Wurzelrüben dagegen enthalten Lignane, die zwar antioxidativ wirken, jedoch teilweise als toxisch bewertet werden. Wie andere Doldengewächse mit weißen Blüten wie etwa die wilde Möhre kann der Wiesenkerbel leicht mit ähnlich aussehenden krautigen Pflanzen verwechselt werden, die giftig sind. Deshalb habe ich mich mit dem Sammeln von weißblühenden Doldengewächse bisher zurückgehalten. Die giftigsten von diesen sind Gefleckter Schierling, Wasserschierling und Hundspetersilie. Der Hauptbestandteil des Schierlingsbechers, der Sokrates tötete, war der in Mitteleuropa eher seltene Gefleckten Schierlings. Der Tod tritt in Folge einer Atemlähmung ein. Die schon durch ihren üblen Geruch abstoßende Hundspetersilie ist weit weniger giftig. Wer Doldenblütler sammelt, sollte also mindestens die unterscheidenden Merkmale der unerwünschten Pflanzen kennen. Für den Anfänger ist bei weißblühenden Doldengewächsen eine ausschließende Bestimmung unerlässlich.

Die Einzelblüten des Wiesenkerbels haben einen Durchmesser von drei bis vier Millimetern. Jede hat fünf weiße Kronblätter, von denen zwei kleiner sind. Die Blütenstände entspringen dem Stängel als Doppeldolden mit acht bis fünfzehn, manchmal nur vier Schirmstrahlen. Die behaarten Tragblättchen unter den Dolden verfärben sich bei älteren Pflanzen ockerfarben, an den Rändern rötlich. Die zylinderförmigen kahlen, zunächst grünen, dann dunkelbraunen Früchte, Doppelachänen, die sich bei Reifung in zwei Teile spalten, sind sechs bis zehn Millimeter lang und durchstechen mit ihren Zwillingsschnäbeln die Blütenkrone. Die zwei- bis dreifaltig gefiederten Laubblätter sind 15 bis 30 Zentimeter lang. Die Blätter haben einen dreieckigen, die Fiederblättchen einen eiförmigen Umriss mit fiederspaltigen Einschnitten, die Unterseite ist leicht behaart. Die am Stängel dicht behaarten Blattscheiden sind am Blattrand wollig gewimpert. Der im unteren Teil behaarte, weiter oben fast kahle Stängel ist ist hohl und gefurcht. Die Pflanzen werden bis anderthalb Meter hoch.

Des hohlen Stängels wegen wird das Kraut im Niederländischen Fluitenkruid (Flötenkraut) genannt. Für die Herstellung eines Klangerzeugers eignen sich größere Pflanzenexemplare. Um eine Art gedackte (geschlossene) Eintonflöte herzustellen wird ein hohles Stück aus dem Stängel herausgeschnitten, das an einem Ende offen und am anderen durch einen Stängelknoten abgeschlossenen wird. Die Flöte ‒ eher eine Pfeife ‒ wird senkrecht an die Unterlippe gehalten und über die Kante angeblasen. Ein Längsschnitt über etwa die Hälfte des Stängelstückes verwandelt es in ein Rohrblatt, also in eine Art Schalmei. Bei diesem Instrument wird der Luftstrom nicht am Stängelrand gespalten, sondern versetzt die durch den Schnitt hergestellte Ritze in Schwingung, wozu mehr Energie (Blasdruck) als bei der Flötenvariante aufgewendet werden muss. Etwas Vorsicht ist geboten, denn der Pflanzensaft kann auf der Haut Lichtempfindlichkeit hervorrufen. Die phototoxische Wirkung ist jedoch nicht so stark wie etwa beim Bärenklau.

Wiesenkerbel wächst an sonnigen bis halbschattigen Standorten. Als Stickstoffzeiger wird er durch Überdüngung gefördert. Meine Frau und ich haben ihn entlang der Südlichen Düssel gefunden und einen Strauß mit nach Haus genommen. Den Geschmack der Blattspitzen und Blüten, die wir in einem mit Traubenkernöl angemachten Salat probiert haben, fanden wir weder ungewöhnlich, noch besonders aufregend oder reizvoll, auch nicht unangenehm. Im Ensemble mit anderen Kräutern scheint er durchaus eine würzige Note einbringen zu können. Ein paar Dolden stellten wir als Dekoration an unser Fenster, wo sich später herausstellte, dass wir auch Blattläuse mitgebracht hatten, die sich dann rasend vermehrt haben. Solche Gegebenheiten bringt eine Versorgung aus der Natur mitunter mit sich.

7. Juni 2013 von Kai Yves Linden
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