Musik

진은숙

Gestern vollendete die in Berlin lebende Komponistin Unsuk Chin ihr 50. Lebensjahr. Dass ich ihren Namen (/t͡ɕin ɯnsuk/ ausgesprochen) im Titel in Hangul geschrieben habe, soll weniger ein Hinweis sein, dass sie sich als koreanische Komponistin verstünde – im Gegenteil lässt sie eine solche Einengung nicht gelten – sondern nur eine Verbeugung. Nicht-europäische Musik ist für sie nicht als Quelle einer geografisch verortbaren Identität wichtig, sondern der kreativen Anregungen wegen, die sie aus ihr schöpft, besonders aus balinesischer Gamelan-Musik. An europäischen Komponisten, deren Werke ihr kompositorisches Denken beeinflusst haben, nennt sie Béla Bartók, Igor Strawinski, Claude Debussy, Anton Webern, Iannis Xenakis und György Ligeti. Um bei letzterem zu studieren, kam sie 1985 nach Deutschland. Seine Kritik mangelnder Originalität hat es ihr nicht leicht gemacht und eine mehrjährige Schreibpause ausgelöst. 1991 machte sie dann mit Akrostichon-Wortspiel Furore, das mit seinem experimentierfreudigen und zugleich virtuosen Spiel mit Wörtern und Buchstaben beispielhaft für ihre Musik ist und in einer Einspielung mit der finnischen Sopranistin Piia Komsi auf CD vorliegt. 2007 wurde in München ihre Oper Alice in Wonderland in einer Inszenierung von Achim Freyer produziert und für eine DVD aufgezeichnet. Ihre musikalische Sprache spielt mit stilistischen Anleihen, die auch ungeübten Hörern einen leichten Zugang ermöglichen, doch ihre konsequente Arbeit mit dem Material, die das Extrem nicht scheut, ist entschieden modern. Ihre Klavieretüden, die sie seit 1995 schreibt, erinnern teilweise an Ligetis zwischen 1985 und 2001 entstandenen Hefte, spielen aber auf eine Weise mit der Spannung zwischen Bewegung im Tonraum und Binnenbeziehungen von Figuren, in der ihre musikalische Persönlichkeit unverkennbar ist. Die fünfte mit dem Beinamen Toccata wird mit bezaubernder Aufmerksamkeit von der malaiischen Pianistin Mei Yi Foo gespielt, wie in einem kleinen Internetfilm (mit leider nur mäßiger Tonqualität) zu bewundern ist.

15. Juli 2011 von Kai Yves Linden
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