Musik

Setzkasten

Der Düsseldorfer Pianist und Komponist Bernd Wiesemann hat am 31. Oktober einen Abend einer Konzertreihe der Tonhalle Düsseldorf zum 100. Geburtstag von John Cage gestaltet. Aufgeführt wurden sein Alles 2 für vier Interpreten und in der gleichen kammermusikalischen Besetzung das Theatre Piece von Cage. Alles 2 – eine Fortsetzung eines früheren Werkes unter dem Titel Alles, das vor zwei Jahren von zweien der Beteiligten aufgeführt wurde, von Wiesemann als Pianisten und dem Tänzer Andreas Simon, nun vom Cellisten Burkart Zeller und von der Sopranistin Irene Kurka ergänzt – ist eine Art Liederzyklus mit Suitencharakter, „ein inszenierter Liederabend”, dessen Evokation des bürgerlichen Salons allerdings von Dada und Fluxus geprägt ist.

Lacher waren dem sich allzu harmlos gebenden Vers aus Jakob van Hoddis‘ Weltende sicher:

Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.

Ähnlich den Reihungen dieses stilbildenden Gedichtes des Protoexpressionismus stellte der „inszenierte Liederabend” verschiedene Klangideen, sich selbst darstellende experimentelle Klangerzeuger, die auf Alltägliches verweisen, ebenso aber auch romantische Allusionen, alles wie einem Setzkasten oder einem Kabinett entnommen, disparat nebeneinander. Manchem im Publikum schien, ausgetauschten Blicken zu entnehmen, die ich aufschnappte, die Einordnung des Bühnengeschehens zwischen Kunst und Klamauk nicht zu gelingen. Hinter dem scheinbaren Unernst steckt unverkennbar ein Schalk, also ein Schalk hinter dem Schalk, dem es mit den letzlich ernsten und mitunter letzten Dingen, von denen die ausgewählten Gedichte von sechseinhalb Autoren[1] sprechen, durchaus ernst ist.

Komponist und Interpreten jonglierten mit Inhalten und gefundenen Objekten. Kompositorisch kunstvoll ist die Einfachheit etwa der Figur chromatisch absteigender Schritte, die sich in einem abschließenden Glissando wieder zurück nach oben schwingt. Komponiert ist der paradoxe Zusammenhang von Zusammenhanglosem, der die Stücke miteinander verzahnt, wenn auch die zeitliche Koordination weitgehend dem Zufall überlassen bleibt. Bei allen Bezügen stehen die meisten Fragmente gleichwohl nebeneinander wie Strandgut, dem nur der Ort des Strandes gemeinsam zu sein scheint, zwischen dessen Stücken aber unsere Wahrnehmung durch Ähnlichkeiten untereinander und mit anderem Beziehungen herstellt. So verknüpften meine Ohren das Sfumato, welches das Zitat des lutherischen Chorals, das Meister Eckharts Feststellung der menschlichen Projektion Gottes begleitet, zwischen angedeuteter Melodie und reiner Klangfarbe schweben lässt, in seiner Blockhaftigkeit mit der Lärmmusik, die Goethes

Über
Allen
Gipfeln
Ist Ruh

(in Stillers Manier) widerspricht.

Die Aufführung von Theatre Piece erschien mir als ein Echo auf die erste Hälfte des Abends. Alle Interpreten glänzten mit wunderbaren klanglichen Einfällen und ließen dabei das Zeitraster von Cages Partitur erkennen. Der Tänzer Andreas Simon demonstrierte den physischen, muskulären Ursprung von Klangerzeugung. Wiesemann zauberte mit ganz gewöhnlichen Hilfsmitteln geradezu unwahrscheinliche, aber reproduzierbare Wassermelodien. Irene Kurka bewies in anhaltenden Schnalzperkussionen ungeahnte Virtuosität. Am meisten faszinierten mich aber die Einfälle des Cellisten Burkart Zeller, der mit analogen Mitteln Klänge produzierte, die an elektronische Musik erinnern. So stellte er einen Schneebesen als Wandler (statt der Saiten) zwischen Vermittler (Streichbogen) und dem zum Resonator (Korpus) verbindenden Kanal (Steg).[2] Die Schwingungscharakteristik der Besendrähte liegt zwischen starren Stäben und schwingenden Saiten, was einen glockenhaft metallischen Klang ergibt. In der Frühzeit der elektronischen Musik wurden Bandaufnahmen von Glocken mit einem rotierenden Tonkopf in stationäre Klänge verwandelt. Aber wieviel charmanter ist es, einen solchen Klang mit einem Alltagsgegenstand herzustellen!

Nun, der ganze Abend war für mich ein anregendes Vergnügen und beide Teile erschienen mir jeweils schon zu bald vorbei.

1. Weltende von Jakob van Hoddis, Mein blaues Klavier von Else Lasker-Schüler, Gott ist gut von Meister Eckhart, Wandrers Nachtlied nach Johann Wolfgang von Goethe (angeregt von der typographischen Gestaltung eines Litfaßliteraturplakates von Niklas Stiller), Das Fräulein von Heinrich Heine, Gib auf von Rose Ausländer
2. Wir benennen die Funktionselemente hier nach der informationstechnischen Systematik von Musikinstrumenten, die Herbert Heyde Anfang der siebziger Jahre aufgestellt hat.

6. November 2012 von Kai Yves Linden
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