Dies und das

Die Gender-Apnoe

Die Gender-Pause wird – beim öffentlichen Sprechen – zunehmend beliebter (bei privaten Gesprächen begegnet sie einem weit seltener), jedenfalls überall, wo auf Geschlechtergerechtigkeit Wert gelegt wird. Die Intention ist nicht, das glaube ich, die Sprache zu deformieren. Vor allem die auf der rechten Seite des politischen Spektrums und insbesondere die ganz rechts ärgert die Beliebtheit der Lösung, die vor allem bei denen zunimmt, die eine aufgeklärte, „aufgewachte“ oder nur tolerante Position vertreten, und das wäre durchaus ein Grund für mich sich zu freuen. Nur leider verursacht die etwas künstliche Lösung bei mir eine Art Schmerzempfindung, die sich aus der empathischen Mimesis ergibt. Wenn wir zuhören, vollziehen wir das Sprechen innerlich nach, wir spiegeln sozusagen das Gegenüber, was mitunter an der Mimik ablesbar ist. Bei der innerlichen Nachahmung der Pause erscheint mir diese als Aussetzer, der durch eine Artikulationshemmung oder eine Atemstörung verursacht sein könnte, eine Apnoe. Vielleicht ist das bei mir besonders ausgeprägt. Vielleicht höre ich etwas anders als andere, vielleicht bin ich empfindlicher. Jedenfalls scheinen die für mich damit verbundene Schmerzempfindung nicht alle zu teilen.

Ich habe bei Diskussionen über männlich geprägte Sprache schon früher die weibliche Form als Genericum vorgeschlagen, denn das funktioniert z.B. auch im Singular. Luise F. Pusch, die als Erfinderin der Gender-Pause gilt, hat das ebenfalls vorgeschlagen, und ihre Meinung als Linguistin hat sicher mehr Gewicht als meine als Irgendjemand, der sich nur auf seine Empfindung berufen kann. Sie hat übrigens auch die Abschaffung der weiblichen Form bei Berufsbezeichnungen und anderen generischen Begriffen erwogen; jedoch ist klar, dass eine negative Regelung viel schwerer durchzusetzen ist. Es ist leichter, sich etwas anzugewöhnen als sich etwas abzugewöhnen. Nur an die Pause kann ich mich eben nicht gewöhnen; meine spontane Wahrnehmung erkennt einen Aussetzer und vermutet ein artikulatorisches Problem.

Wenn ich Pusch richtig verstanden habe, war ihr ursprünglicher Vorschlag, das große Binnen-I durch einen Kehlkopfverschlusslaut auszudrücken. Das erscheint unmittelbar logisch, denn ein Großbuchstabe steht im Deutschen normalerweise am Anfang eines Nomens, also eines Wortes, und bei einem Vokal am Wortanfang wird im Deutschen ein Kehlkopfverschlusslaut artikuliert. Deutsche machen das übrigens auch in Fremdsprachen – wenn sie es sich nicht mit viel Mühe abgewöhnen – woran sie im Ausland sofort erkannt werden, so gut sie die Aussprache sonst beherrschen oder Eigenheiten der Fremdsprache übernehmen und manchmal auch übertreiben. Der Laut wird auch als Knacklaut bezeichnet. Was mich betrifft, könnte ich mit dem Knacklaut beim großen Binnen-I auch gut leben, manchmal furchtbar ist für meine Empfindung nur die Pause, die ihn erzwingt.

Ich bin, nebenbei, der Meinung, dass Sprache nicht Bewusstsein ändern kann. Sprache ist Ausdruck des Bewusstseins, und weder das eine, noch das andere kann eindimensional verstanden werden. Es gibt nicht nur eine Sprache, und dies unter verschiedenen Blickwinkeln, vom gleichen Individuum gesprochen oder nur gedacht. Und Vorschriften und Regeln sind zunächst solche, und nicht das Ergebnis, das sie herstellen sollen. Und schließlich kann sich die Bedeutung leicht verschieben, auch das eine allgemeine Eigenschaft von Sprache, die manchmal ungenau, manchmal falsch und manchmal verräterisch ist. Beispielsweise mit der Wortform TäterInnen – wie letztens in einem Fernsehkulturmagazin gehört – zu unterstreichen, dass es sich bei diesen auch um Frauen handeln kann, erscheint nicht nur wenig emanzipatorisch, sondern ungenau; von Tätern und Täterinnen zu sprechen, würde deutlicher darauf verweisen, dass die Taten, von denen die Rede ist, von Männern und Frauen begangen wurden. Wenn die Intention aber ist, den Unterschied nicht zu machen, also das jeweils Generische gemeint ist, offenbart sich das sprachliche Dilemma der Gender-Form: Sie erweist sich als keine echte generische Form. Eine andere gesellschaftliche Wirklichkeit wird eine andere Sprache herstellen; nicht umgekehrt. Das ist aber ein anderes Thema.

Ich möchte nur dafür plädieren: Wenn ein Knacklaut ein großes Binnen-I darstellt, dann bitte ohne Pause. Oder genauer: Es genügt eine bei geübter Artikulation kaum wahrnehmbare Pause, artikulationstechnisch bedingt, die gerade lang genug ist, den Kehlkopfverschluss herzustellen und wieder zu lösen, ohne jede künstliche Dehnung, die auch bei anderen Worten im Satz, die mit einem Vokal beginnen, nicht praktiziert wird. Ein knackiger Vokal ist auch im Sprachfluss deutlich genug – eine extra Pause braucht es einfach nicht. Da mit der deutschen Sprache aufgewachsenen Menschen der Knacklaut nicht bewusst ist, hilft es sich vorzustellen, die zu isolierende Suffix sei ein eigenes Wort, das an das vorige nur durch zeitliche Nähe gebunden wird. Soviel Geschick würde ich bei professionellen SprecherInnen jedenfalls gern erwarten können.

18. Mai 2022 von Kai Yves Linden
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