Internet
Freiheit in der Wolke
Macht die Cloud, die Daten-„Wolke”, uns unabhängiger und freier? Dieser Frage ist Eben Moglen in einem Vortrag nachgegangen, den er im Februar 2010 auf einer Veranstaltung der Internet Society in New York gehalten hat.[1] Moglen ist Jurist – „und auch Idealist” – wie Richard M. Stallman (Gründer der Free Software Foundation, die Moglen als Syndikus vertritt) ihn einmal kennzeichnete – um im gleichen Atemzug hinzuzufügen: „wie erfrischend”. Moglen entfaltet aus einfachen Feststellungen, indem sie aufeinander aufbauen, eine brilliante Polemik, wie wir sie aus Plädoyers in amerikanischen Gerichtsfilmen kennen. Er greift Beobachtungen auf, die uns nicht neu sind, die wir möglicherweise teilweise verdrängt oder vernachlässigt haben, und pointiert sie – überspitzt sie also und bringt sie damit auf den Punkt.
Der entscheidende Punkt ist, dass die Client-Server-Architektur des Netzes auch ein soziales Modell ist. Eigentlich sieht das Konzept „Internet” ein Netz von ebenbürtigen Knoten vor, mit gleichberechtigten Verbindungen von Endpunkt zu Endpunkt (peer to peer).
Es beginnt allerdings mit dem Internet, […] ein Peer-to-Peer-Netzwerk, das „Internet” genannt wird, entworfen als ein Netzwerk von Ebenbürtigen – peers – ohne intrinsische Notwendigkeit einer hierarchischen oder strukturellen Kontrolle, in der Annahme, dass jedes Kopplungselement (switch) im Netz eine unabhängige, freistehende Instanz ist, deren Willensentschluss gleichbedeutend mit dem Willensentschluss der menschlichen Wesen ist, die es steuern wollen.
Die Notwendigkeit einer hierarchischen Kontrolle ist also extrinsisch, sie ergibt sich nicht aus technischen Gegebenheiten des Netzes, sondern ist Grundlage für die Umsetzung bestimmter Interessen. Diese haben dazu geführt, dass das Modell der gleichberechtigten Endknoten vom Client-Server-Modell überlagert wurde. Betriebssysteme wie Windows haben dies, so Moglen, ihren Anwendern als natürliche Ordnung vorgegaukelt.
Nunmehr setzte sich das Netz aus Servern und Clients zusammen, Clients waren die Typen am Rand, die Menschen darstellten, Server waren die Dinger in der Mitte mit viel Macht und einer Menge Daten.
Cloud ist nichts wesentlich Neues in Bezug auf die Rollenverteilung im Netz. Cloud ist die Virtualisierung der Server-Seite. Der Server ist nicht mehr ein Ding aus Eisen mit Schaltern und Knöpfen, das irgendwo steht, sondern ist überall und nirgends.
„Cloud” bedeutet also, dass Server Freiheit gewonnen haben, Freiheit sich zu bewegen, Freiheit zu tanzen, Freiheit sich zusammenzuschließen und zu trennen und wieder zu aggregieren und alle Arten von Tricks zu spielen. Server haben Freiheit gewonnen. Clients haben nichts gewonnen. Willkommen in der Welt der Cloud.
Das Client-Server-Modell entmündigt die Anwender auf der Client-Seite als Konsumenten, die über ihre Nutzung der Dienste keine vollständige Kontrolle haben. Als Negativbeispiel par excellence führt Moglen Facebook an, dessen Service in kaum mehr als einer Gratis-Homepage mit ein paar dynamischen Funktionen bestehe (in PHP programmiert, was ein eher unwichtiges Detail ist) – Bespitzelung gibt’s umsonst dazu. Zuckerberg nutze aus, dass Menschen mit anderen in Kontakt kommen möchten, um an ihre Daten zu kommen.
Das Menschengeschlecht hat einen Hang zu Unheil, doch Herr Zuckerberg hat einen wenig beneidenswerten Rekord erzielt: Er hat dem Menschengeschlecht mehr Schaden zugefügt als irgendjemand sonst seines Alters. Denn er beutet Freitag Nacht aus. Das bedeutet: Jeder möchte flachgelegt werden; und das verwandelte er in eine Struktur zur Degenerierung der menschlichen Persönlichkeit – und es ist ihm, auf der Grundlage eines lausigen Handels, in bemerkenswertem Ausmaß gelungen. Konkret: „Ich gebe dir Web-Hosting umsonst und ein paar PHP-Dingchen und du bekommst Bespitzelung die ganze Zeit umsonst.” Und es funktioniert.
Es geht um Selbstbestimmung. Frei im Sinn von gebührenfrei (free of charge) kann eine Täuschung sein – es bedeutet nicht unbedingt frei wie in Freiheit (free as in freedom). Die Nutzung von Computern und Mobilfunk-Endgeräten und der Netze sollte aber für alle Anwender und Teilnehmer freiwillig, gleichberechtigt und selbstbestimmt sein.
Beim Datenschutz (privacy) geht es ja nicht unbedingt um Geheimnisse, die ich möglicherweise habe oder auch nicht habe, also darum, ob man „etwas zu verbergen” hat. Privatsphäre wird auch verletzt, wenn Daten gesammelt werden, die nicht besonders vertraulich sind, aber eigentlich niemanden außer mich und diejenigen, die sich innerhalb dieser Sphäre befinden, etwas angehen, und zwischen den Daten Verknüpfungen hergestellt werden, um schließlich Zusammenhänge herzustellen, die zutreffend sind oder nicht – mit dem Ziel, kommerziellen Gewinn oder einen anderen Vorteil daraus zu ziehen, der nicht gegenseitig ist.