Dies und das
Wohin mit dem Blech
Wieder in Düsseldorf zurück – nach einer kleinen Tour in der Mitte Frankreichs, die meine Frau und mich durch das Berry, die Sologne und das Loire-Tal der Touraine geführt hat. In Tours, das wir als lebendige Stadt erlebt haben, die sich neu gestaltet, wobei Restaurierung des historischen Erbes – das in Tours wegen der Zerstörungen vor allem durch die deutsche Luftwaffe im zweiten Weltkrieg zum Teil rekonstruiert werden musste – und Modernisierung nebeneinander laufen, hat eine Abwesenheit meine Augen erfreut: die Abwesenheit von abgestellten Fahrzeugen, die den Straßenraum verstellen. Zwar ist diese Abwesenheit noch rudimentär – nicht überall in den beiden Vierteln des alten Tours ist der Blick auf die andere Straßenseite von Blechkisten unbehindert – doch sie ist Politik (Informationen auf französisch: Stationner à Tours).
Weltweit ist es in Altstadtbezirken üblich, schon wegen der engen Straßen, das Durchfahren und Beparken einzuschränken. In Tours ist zudem auch in breiteren Straßen das Parken teilweise nicht zugelassen, was beim Flanieren angenehm auffällt. Das Fehlen von abgestellten Autos ermöglicht einen im einfachen Wortsinn unverstellten Blick, der freigewordene Raum gibt den Fußgängern mehr Bewegungsfreiheit – die nur wenig eingeschränkt wird, wenn der gewonnene Streifen für einen von der Fahrbahn abgetrennten Fahrradweg genutzt wird. (Etwas polemisch sei hinzugefügt, dass Fahrräder nicht so laut, nicht so schmutzig und nicht so gefährlich wie Autos sind, und auch abgestellt nehmen sie weniger Raum ein und sehen zudem besser aus.)
Es scheint mir schwer zu leugnen, dass der motorisierte Verkehr in den Städten Europas das erträgliche Maß längst überschritten hat. In den wirtschaftlich stärksten Ländern beträgt das Verhältnis zwischen Einwohnern (nicht zu vergessen auch der nicht motorisierten) und Personenkraftwagen etwa 2:1, was bedeutet, dass eine große Zahl von Haushalten über mehr als ein Fahrzeug verfügt. (Im Jahr 2008 kamen auf 1.000 Einwohner in Deutschland 503 PKW.) Eine Stadt wie Düsseldorf mit 588.169 Einwohnern z.B. (am 31.12.2010) weist (am 1.1.2011) einen Bestand von 274.934 PKW auf, zu dem noch 38.912 andere Fahrzeuge kommen. Um 223.094 Fahrzeuge (am 30.6.2009 gezählt) pendeln täglich in die Stadt ein. Etwa ein Achtel des Verkehrs in der Innenstadt wird durch die Suche nach einem freien Parkplatz verursacht. (Quelle dieser Zahlen sind Statistiken der Stadt Düsseldorf.)
Abgesehen von Lärm und Verschmutzung, die der Verkehr produziert, haben wir uns daran gewöhnt, dass aneinandergereihte Karosserien, die ein nach Größenklasse variierendes Durchschnittsdesign vervielfältigen, das Straßenbild prägen, der sogenannte ruhende Verkehr. Eine Entfernung ruhenden Verkehrs aus dem Straßenraum mag als nur verschleiernde Abmilderung des Umstandes angesehen werden, dass wir unsere Städte der individuellen motorisierten Mobilität unterworfen haben, deren Vorrang durch Abtrennungen und Beschränkung von Übergängen untermauert wird. Tatsächlich müssen wir Mobilität als eine Voraussetzung des modernen Lebensstils begreifen – wir werden deshalb kaum auf sie verzichten können oder wollen. Wenn aber alles der Fortbewegung und ihrer Geschwindigkeit untergeordnet wird, bleibt vom Lebensstil nur die Geschwindigkeit übrig. Verminderung von Parkraum in den Straßen ist ein Mittel (unter anderen), die Vorherrschaft des Autos zurückzudrängen und den Straßenraum für den Fußgänger zurückzugewinnen.
Die Kosten können Nutzern des städtischen Verkehrsraums in Form von Parkgebühren zugemutet werden. Wenn der Bau von überdachten und unterirdischen Parkhäusern, sowie die Nutzung durch Anwohner mit öffentlichen Mitteln bezuschusst wird, drückt dies die Gemeinsamkeit des Interesses aus und stellt einen Ausgleich her, da die Notwendigkeit der Nutzung eines gebührenpflichtigen Parkhauses nicht für alle Stadtbewohner gegeben ist, die ein Fahrzeug halten. Auch wollen wir nicht unbedingt für die Erhöhung von Strafgebühren für das Falschparken plädieren – grundsätzlich bin ich der Überzeugung, dass Ausnahmen toleriert werden müssen, solange sie Ausnahmen bleiben, und dies bedeutet, dass wir auch Gehfaule ertragen müssen – aber das Bewusstsein, dass Fläche verbraucht wird, die allen gehört – und oft benötigt wird, etwa auf Fahrradwegen – sollte eine stärkere Verbreitung finden. Allerdings betrachten viele Städte das Falschparken als eine Einnahmequelle. Sonst würden sie es etwa durch Barrieren erschweren.
Eine völlige Verbannung des Verkehrs aus dem überirdisch sichtbaren Raum der Städte etwa durch umfassende Untertunnelung ist utopisch – und mutet auch merkwürdig futuristisch, also irgendwie von gestern an. Doch eine teilweise Unsichtbarkeit des ruhenden Verkehrs, insbesondere in den Innenstädten, trägt dazu bei, die Städte lebenswerter zu machen.
Fotogalerien
Iris, Mohn, Akelei
Die drei Blumen, die ich vor acht, neun Wochen fotografiert habe, sind inzwischen wieder verblüht. Ich brauche beim Sortieren und beim Bearbeiten etwas zeitlichen Abstand zur Aufnahme. Der Blick ist unvoreingenommener, offener, nicht zuletzt, weil ich inzwischen vergessen habe, wieviel Aufwand die Aufnahme unter Umständen gekostet hat. Es fällt dann leichter, Misslungenes zu löschen, und bei den übrigen Bildern gegebenenfalls – wenn ich ein Bild nicht nur aus dokumentarischen Gründen behalte, sondern weil es mir als Bild gelungen oder zumindest interessant erscheint – den besten Ausschnitt zu finden. Der Ansatz der Bilder, die ich jetzt bearbeitet – und der Galerie Blumen (von Nahem) hinzugefügt habe – ist, nicht nur vom typischen Charakter der jeweiligen Blume bestimmt, ziemlich unterschiedlich. Vielleicht würde die Galerie weniger heterogen wirken, wenn ich diese Unterschiede noch mehr herausarbeiten würde. Vielleicht sollte ich meinen Blick beim Fotografieren von Blumen im übertragenen Sinn schärfer fokussieren…
Immer wieder erstaunt mich, wie wichtig die Leserichtung für das Verständnis des Bildaufbaus ist: Alle drei neuen Bilder habe ich horizontal gespiegelt (was bei einem Motiv wie Blumen, wenn nicht um eine botanische Illustration geht, kein Problem ist). Wird die bildliche Leserichtung vom Schriftsystem geprägt? Ein Bild erscheint mir am ausgewogensten, wenn der Bildmittelpunkt etwa im goldenen Schnitt rechts unten liegt. (Etwa bei der Akelei, wobei nicht offensichtlich ist, wo der Schnittpunkt eigentlich genau liegt.) Natürlich ist eine ausgewogene Aufteilung nicht immer die beste. Andererseits ist auch der goldene Schnitt nicht immer ausgewogen: Die asymmetrische Darstellung der symmetrischen Irisblüte auf dem vollen Bild etwa (anders als beim Ausschnitt, der den Artikel schmückt) erzeugt eine starke Spannung. (Zur Fotogalerie→)
Dies und das
Menschenfeindlichkeit
Die Einflussnahme rechtsextremer Ideologen im Internet nimmt zu. Ist der doppelte Anschlag in Norwegen auch die Tat eines wirren Einzelgängers, das Manifest seiner Weltsicht hat er sich aus Schnipseln zusammengeklebt, die er aus rechtsextremen, vornehmlich rechtskonservativen Foren im Internet kopiert hat. Nicht erst nach diesem erschreckenden Blutbad ist es wichtig, die Propaganda der Rechten zu beobachten, einzuordnen und zu benennen, zumal sie auch in neutralen Foren und Publikationen in kaschierter Form infiltriert wird. Der Zusammenhang von rechten Ideologemen zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ist nicht immer offensichtlich. (Der sozialwissenschaftliche Begriff beschreibt das Phänomen – oder Syndrom – etwas sperrig aber unmittelbar verständlich. Der Wikipedia-Artikel zum Begriff enthält eine Auflistung von Symptomen des Syndroms.) Wikipedia etwa ist immer wieder Ziel von Attacken, bei denen Umdeutungen, Umwertungen und Täuschungen in Artikel zu zeitgeschichtlichen und politischen Themen eingeschleust werden, um den Standpunkt unbemerkt nach rechts zu verlagern. (Zur Problematik des neutralen Standpunktes siehe auch den Artikel Kritik an Wikipedia.)
Die unter dem Namen Informationsdienst gegen Rechtsextremismus von der Politikwissenschaftlerin Margret Chatwin unterhaltene Seite wurde 2006 mit der Begründung eingestellt, es gäbe inzwischen genügend andere Angebote. Es stimmt zwar, dass es einige Seiten gibt, die der Beobachtung der rechten Szene gewidmet sind – einen zusammenfassenden Überblick über deren aktuelle propagandistische Tätigkeiten im Internet habe ich jedoch nicht gefunden. Ansprechend aufgemacht und übersichtlich aufgebaut ist die Seite der Aktion Mut gegen rechte Gewalt der Illustrierte Stern und der Amadeu Antonio Stiftung.
Musik
Klangpinsel
Soundpainting, wörtlich „Klangmalerei”, nicht so sehr im Sinne von „mit Klang malen” als eher „Klangmalen”, ist eine von Walter Thompson seit etwa 1975 entwickelte Zeichensprache, die zur Steuerung kollektiver Improvisationen von Musikern, Sprechern und/oder Tänzern durch einen oder mehrere Dirigenten dient. Der Zeichenvorrat besteht aus mittlerweile rund 800 Gesten, von denen etwa vier Dutzend das Grundvokabular ausmachen. Thompson verbreitet seine Sprache u.a. mit zwei Arbeitsbüchern (auf Englisch oder Französisch), die online über soundpainting.com bestellt werden können. (Es könnte auch von einer Vermarktung gesprochen werden, das Markenzeichen für den Begriff Soundpainting besteht jedoch nicht mehr.) Es ist bestimmt empfehlenswert, die Sprache in einem Kurs zu erlernen. Soundpainting ist nicht einfach eine Ansammlung von Gesten, sondern ein System, das die Gesten in einen syntaktischen Zusammenhang stellt. Die als Blog geführte Web-Site der internationalen Soundpainting-Community ist soundpainters.org.
Soundpainting als Zeichensprache für Echtzeitkomposition (live composing sign language) zu bezeichnen, erscheint mir jedoch als übertrieben, denn die Gesten können nur einen Teil von dem beschreiben, was erzeugt wird und was dabei herauskommt – wobei die Frage vernachlässigt sei, ob sie eher auf ersteres oder auf letzteres zielen. Auch ist die durch gestische Zeichen mögliche Informationsdichte eher gering, was andererseits den Vorteil hat, dass den Ausführenden improvisatorische Freiheit bleibt – was in der Absicht dieses Dirigiersystems liegt. Es besteht jedoch auch die Gefahr eines stereotypen Idioms, das sich in wabernden Klangteppichen äußert, bei denen der dirigierende „Klangmaler” sich aus mehr oder weniger klar definierten „Farbtöpfen” bedient – Texturtypen und Texturelementen – ohne dass ein Formverlauf erkennbar wird. Größere Ereignisdichten sind mit zwei oder mehr Dirigenten möglich. In jedem Fall aber hängt das Gelingen ebenso von den Ausführenden und eventuellen zusätzlichen Vereinbarungen, etwa einer Materialpartitur ab, wie vom kreativen und gestischen Talent des oder der Soundpainting-Dirigenten.
Gestoßen bin ich auf Soundpainting durch Etienne Rolin, den ich vor vielen Jahren bei einem Sommerkurs mit György Ligeti in Aix-en-Provence kennengelernt habe und der inzwischen in Bordeaux lebt und wirkt. Seine Projekte, die Soundpainting einbeziehen, wie ein Multimediaspektakel im Museum CAPC in Bordeaux 2008 (Ausschnitt auf YouTube) und das multimedial erweiterte Hörspiel «Caverne 3D» (Ausschnitt auf YouTube), zeichnen sich durch reiche Oberflächen und großräumige Entwicklungen aus. Rolins Musik ist Kunstmusik auf der Grundlage der europäischen Musiktradition, die unter anderem Einflüsse von experimentellem Jazz in sich trägt.
In Europa hat Soundpainting vor allem im französischen Sprachraum Verbreitung gefunden. Zwei Jazz-Ensembles, die mit dem Dirigiersystem arbeiten, seien hier genannt: zum einen das Ensemble Anitya, zum anderen das Surnatural Orchestra. In Mailand und Umgebung leben die Musiker des SPIO (Soundpainting Italian Orchestra). In Deutschland ist die Flötistin Sabine Vogel als Musikerin und Pädagogin in Sachen Soundpainting unterwegs.
Literatur
Erlesene Leiche
Cadavre exquis ist ein Spiel, das sich Marcel Duhamel, Jacques Prévert und Yves Tanguy, die zu dieser Zeit zusammen in einem Haus im Montparnasse in Paris wohnten, um 1925 ausgedacht hatten und mit Freunden zunächst nur zum Zeitvertreib und später auch als experimentellen Ideengenerator spielten. Der Dictionnaire abrégé du Surréalisme (Kurzlexikon des Surrealismus) von André Breton und Paul Éluard (erschienen 1938) beschreibt es als
Spiel, das darin besteht, dass mehrere Personen einen Satz oder eine Zeichnung zusammenstellen, ohne dass diese andere oder vorhergegangene Beiträge berücksichtigen können.
Bewerkstelligt wird dies etwa mit einem Blatt Papier, das stets so gefaltetet wird, dass die vorigen Beiträge verdeckt werden, und das erst entfaltet wird, nachdem alle Personen ihren Beitrag beigesteuert haben. Auf diese Weise wurde auch jener Satz erstellt, dessen Anfang dem Spiel seinen Namen gab: Le cadavre exquis boira le vin nouveau. (Die erlesene [vorzügliche] Leiche wird den neuen Wein trinken.)
Ein Aspekt des Spiels besteht darin, das Bewusstsein zu überlisten und mit seinem Antrieb zu spielen, Zusammenhang und Bedeutung herzustellen. Das von den Surrealisten ausgewählte Wortgefüge spielt auch mit der Einbeziehung eines Bedeutungsfeldes, das problematisch, weil mit Angst und Tabu behaftet ist.
Eher harmlos erscheint der ebenfalls berühmte Nonsense-Satz von Noam Chomsky (aus Syntactic Structures, 1957): Colorless green ideas sleep furiously. (Farblose grüne Ideen schlafen rasend.) Eigentlich als Beispiel für einen Satz formuliert, der semantisch unsinnig, doch syntaktisch korrekt ist (though nonsensical, is grammatical), wurde er schon Gegenstand von Wettbewerben etwa für die beste Paraphrase oder die beste Einbettung in einen sinnstiftenden Kontext. Chomsky stellt durch Verbindung von sich ausschließenden Eigenschaften und Tätigkeiten Paradoxa her. Polysemie (Mehrdeutigkeit) lässt es zu diese Gegensätze aufzulösen. Es erscheint uns durchaus nicht unmöglich, dass Ideen ausdruckslos, fade („farblos”), wie auch neu und unausgereift („grün”) seien, zudem noch nicht ausgesprochen, noch verborgen (dass sie also „schlafen”), aber dies auf sich ständig verändernde, kein Festhalten zulassende Weise („rasend”). Ein Alptraum von Ideen also. Chomskys Nonsense-Satz bietet sich demnach ebenso als Beispiel dafür an, wie unser Bewusstsein versucht einen solchen Zustand zu vermeiden. Wir sind zum Sinn verdammt.
Das Spiel der Surrealisten ist interessant (und bleibt unterhaltsam), einerseits weil das, was anscheinend zufällig zusammenkommt, wegen der Personen, die zusammenkommen, wegen des Einflusses etwa ihrer Gespräche vor dem Spiel, nie ganz zufällig ist, andererseits weil ein unerwarteter Zusammenhang entsteht, sei es nur einer der Aufeinanderfolge oder des Nebeneinanderstehens, aus dem Neues entstehen kann. So wundert es nicht, dass das Spiel auch auf bewegte Medien wie Film und Video übertragen wurde (z.B. durch das Projekt cadavre exquis vidéo). Eine musikalische Zusammenarbeit, welche die Definition des Dictionnaire abrégé du Surréalisme erfüllt, ist mir nicht bekannt, aber denkbar, etwa Komposition auf gefaltetem Papier oder abwechselnde Eingaben an einem Sequenzer.
Fotogalerien
Blüten
Während die Bilder der Fotogalerie Blumen (am Fenster und im Freien) blühende Pflanzen in einer Umgebung zeigen, stehen in der neuen Galerie Blumen (von Nahem) die Blüte oder ein Detail allein im Vordergrund. Die heute „eröffnete” Galerie ist noch nicht abgeschlossen, sie wird nach und nach aufgefüllt werden. Die meisten Fotos sind Makroaufnahmen (mit einem Abbildungsmaßstab zwischen 1:4 und 1:1), eines habe ich wegen der vegetativen Bewegung ausgewählt – den Bildraum durchquerende Diagonale und aus dem Bild hinausführende geschwungene Gestik.
Nach und nach lerne ich, dass noch wichtiger als die Schärfe auf den richtigen Punkt zu setzen ist, die Unschärfe zu gestalten. Kompaktkameras haben i.A. den Vorteil, dass sie ohne besonderen optischen Zusatz einen sehr geringen Motivabstand erlauben, aber oft den Nachteil, dass alles mehr oder weniger gleich scharf abgebildet wird. Bei einer Spiegelreflexkamera mit einem Makro-Objektiv ergibt sich die Unschärfe fast von selbst, denn die Schärfentiefe ist gering, in Millimetern zu zählen und nimmt bei zunehmendem Maßstab ab – doch beeinflusst die Größe der Blendenöffnung diese stärker, als beim Blick durch den Sucher (zumindest meiner Kamera) erkennbar ist. Makrofotografie erfordert einige Geduld, die aber durch eine Annäherung an den Gegenstand belohnt wird, die mir wiederum die Aufnahme spannender als die Nachbearbeitung werden lässt – was vielleicht auch der Grund ist, weshalb ich erst jetzt das eine oder andere dieser Fotos veröffentliche. Aber auch bei Beschnitt und Farbgestaltung ist mein Anliegen, das Moment der Nähe zu verstärken, den Blick in das Bild zu ziehen – bzw. in die durch die Abbildung vermittelte Vorstellung des Abgebildeten. (Zur Fotogalerie→)
Musik
진은숙
Gestern vollendete die in Berlin lebende Komponistin Unsuk Chin ihr 50. Lebensjahr. Dass ich ihren Namen (/t͡ɕin ɯnsuk/ ausgesprochen) im Titel in Hangul geschrieben habe, soll weniger ein Hinweis sein, dass sie sich als koreanische Komponistin verstünde – im Gegenteil lässt sie eine solche Einengung nicht gelten – sondern nur eine Verbeugung. Nicht-europäische Musik ist für sie nicht als Quelle einer geografisch verortbaren Identität wichtig, sondern der kreativen Anregungen wegen, die sie aus ihr schöpft, besonders aus balinesischer Gamelan-Musik. An europäischen Komponisten, deren Werke ihr kompositorisches Denken beeinflusst haben, nennt sie Béla Bartók, Igor Strawinski, Claude Debussy, Anton Webern, Iannis Xenakis und György Ligeti. Um bei letzterem zu studieren, kam sie 1985 nach Deutschland. Seine Kritik mangelnder Originalität hat es ihr nicht leicht gemacht und eine mehrjährige Schreibpause ausgelöst. 1991 machte sie dann mit Akrostichon-Wortspiel Furore, das mit seinem experimentierfreudigen und zugleich virtuosen Spiel mit Wörtern und Buchstaben beispielhaft für ihre Musik ist und in einer Einspielung mit der finnischen Sopranistin Piia Komsi auf CD vorliegt. 2007 wurde in München ihre Oper Alice in Wonderland in einer Inszenierung von Achim Freyer produziert und für eine DVD aufgezeichnet. Ihre musikalische Sprache spielt mit stilistischen Anleihen, die auch ungeübten Hörern einen leichten Zugang ermöglichen, doch ihre konsequente Arbeit mit dem Material, die das Extrem nicht scheut, ist entschieden modern. Ihre Klavieretüden, die sie seit 1995 schreibt, erinnern teilweise an Ligetis zwischen 1985 und 2001 entstandenen Hefte, spielen aber auf eine Weise mit der Spannung zwischen Bewegung im Tonraum und Binnenbeziehungen von Figuren, in der ihre musikalische Persönlichkeit unverkennbar ist. Die fünfte mit dem Beinamen Toccata wird mit bezaubernder Aufmerksamkeit von der malaiischen Pianistin Mei Yi Foo gespielt, wie in einem kleinen Internetfilm (mit leider nur mäßiger Tonqualität) zu bewundern ist.
Rezepte
Wiesenkönigin
Der Name Wiesenkönigin (fr. reine des prés) spielt vielleicht auf das ins Gelbliche spielende Weiß ihrer scheindoldigen Blütenstände an, das an jeder Flur aus wie immer gemischtem Grün ins Auge sticht. Bekannter ist sie als Mädesüß bzw. zur Unterscheidung von anderen Arten ihrer Gattung als echtes Mädesüß (en. meadowsweet, botanisch Filipendula ulmaria, der an Ulmen erinnernden Blätter wegen). An den Einzelblüten fällt die große Anzahl von Staubgefäßen auf. Der intensive Duft ähnelt Honig und Mandeln, begleitet von vegetabiler Frische. Das Mädesüß ist an Bachufern und Gräben, auf feuchten Wiesen und in Mooren zu finden. Seine Heilwirkung beruht unter anderem auf den Salizylaten, die es enthält. Der Name des Wirkstoffes Aspirin geht auf die ursprüngliche Zuordnung der Pflanze zu den Spiersträuchern (Spiraeae, vgl. ältere Farbtafeln) zurück. (Bei Empfindlichkeit gegen Salizylate sollte die Pflanze vermieden werden.) Kulinarisch genutzt werden vor allem die Blüten, seltener auch die Früchte, die im August reifenden schraubenförmig eingerollten Nüsschen. Die Blüten werden im Mittsommer geerntet und frisch zur Aromatisierung von Süßspeisen wie etwa Crème brûlée oder von Getränken verwendet. Getrocknete Blüten – das Trocknen über mindestens ein halbes Jahr und länger entwickelt das Aroma durch Reifung – sind ein aparter Bestandteil in einer Aufgussmischung (Tisane), ein verführerischer Kitzel zu mildem Tee und eine hervorragende Gewürzzutat. Der Name Mädesüß leitet sich möglicherweise vom Duft gemähter Pflanzen ab. Früher war sie besonders in England eine beliebte Duftpflanze. In unseren verdichteten Städten und bereinigten Fluren ist sie zwar nicht selten geworden, aber sie tritt nicht mehr zahlreich genug auf, als dass eine Verwendung nur als Duftgeber nicht einfach zu schade wäre.
Programmierung
Speichermodell
Ein Speichermodell beschreibt, welche Ausführungsfolgen für ein Programm erlaubt sind, insbesondere bei nebenläufigen Lesezugriffen auf Variabeln. Das Java Memory Model wird in Kapitel 17 der Java Language Specification (JLS) beschrieben. Mit dem Java Specification Request 133 (JSR-133) wurden einige Probleme des ursprünglichen Modells adressiert. Die 2004 gefundenen Verbesserungen sind in die dritte Ausgabe der JLS (Third Edition) eingegangen und wurden mit Release 5 der Sprache realisiert. Die beiden wichtigsten Änderungen betreffen die Schlüsselwörter final
und volatile
.
Ein beliebtes Diskussionsthema unter Java-Entwicklern ist das Idiom der doppelten Überprüfung beim Zugriff auf ein Einzelstück (Singleton), ein nur einmal zu erzeugendes Objekt – einmal ohne, einmal mit Sperrung (double-checked locking). Da der Erwerb eines Monitors in Bezug auf die Ausführungsleistung teuer ist, zielt das Idiom darauf, diesen nur dann anzufordern, wenn die Instanz noch nicht initialisiert wurde, und sichergestellt werden muss, dass auch in einer nebenläufigen Situation nicht zur gleichen Zeit ein zweites Objekt erzeugt wird.
class Example {
private volatile Helper helper;
public Helper getHelper() {
if (helper == null) {
synchronized (this) {
if (helper == null) {
helper = new Helper();
}
}
}
return helper;
}
}
class Helper {
}
Vor Java 5 war das Idiom problematisch – was ihm seine Berühmtheit verschaffte – weil die virtuelle Maschine Umordnungen von Speicherzugriffen vornehmen kann, etwa um redundante Zugriffe zu eliminieren. Die neue Bedeutung des Schlüsselwortes volatile
verbietet jedoch eine Umordnung des Schreibzugriffs auf ein damit gekennzeichnetes Instanzfeld, und zwar ausdrücklich auch mit allen anderen Schreibzugriffen, die diesem in der Programmreihenfolge vorausgehen. Eben dies ermöglicht, dass die „moderne” Java-Variante des Idioms funktioniert.
Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass es je nach Ausprägung (Klassenfeld, Instanzfeld, Vermeidung zyklischer Initialisierung) bessere Lösungen für die Initialisierung bei Bedarf gibt – die u.a. in Item 71 von Effective Java, 2. Auflage, von Joshua Bloch erörtert werden – etwa die Verwendung einer Behälterklasse.
class Helper {
private static class LazyHolder {
static final Helper INSTANCE = new Helper();
}
public static final Helper getInstance() {
return LazyHolder.INSTANCE;
}
}
Dieses Idiom nutzt aus, dass eine Klasse erst initialisiert wird, wenn sie benutzt wird (s.a. JLS, Kapitel 12, Abschnitt 4). Seine Eleganz liegt darin, dass keine Synchronisierung benötigt wird.
Eine andere wichtige Verbesserung des mit Java 5 eingeführten neuen Speichermodells sind die erweiterten Regeln zum Schlüsselwort final
(JLS, Kapitel 17, Abschnitt 5). Über die Grundbedeutung hinaus, dass mit final
gekennzeichnete Felder nicht geändert werden können, garantieren die revidierten Regeln für entsprechend den Regeln konstruierte Objekte, dass mit final
gekennzeichnete Instanzfelder erst nach Beendigung des Konstruktors sichtbar werden. Ein Konstruktor entspricht den Regeln, wenn innerhalb desselben keine Referenz auf die gerade erzeugte Instanz weitergegeben wird.
Besitzt ein Objekt ein Instanzfeld, dessen Wert sich im Lebenszyklus des Objektes ändern kann, müssen Zugriffe auf den Status des Objektes synchronisiert werden, um eine konsistente Sicht auf das Objekt zu gewährleisten. Dies betrifft auch die Erzeugung eines solchen Objektes, denn Instanzfelder, die nicht als final
gekennzeichnet sind, können ohne geeignete Synchronisierung von einem zweiten Ausführungsfaden in einem nicht oder noch nicht vollständig initialisierten Zustand gesehen werden.
Philosophie
Transparenz des Kunstwerkes
Statt einer Hermeneutik, schloss Susan Sontag ihren Essay Gegen Interpretation (Against Interpretation, 1964), bräuchten wir eine Erotik der Kunst.[1] Jedoch ist die Auffassung, dass es sich bei Kunstwerken um Verpackungen von Inhalt handelt, den es ans Tageslicht zu bringen gilt, auch heute allgegenwärtig. Im Deutschunterricht an weiterführenden Schulen bleibt, soweit es von außen scheint, Hans Magnus Enzensbergers bescheidener Vorschlag zum Schutz der Jugend vor den Erzeugnissen der Poesie weiterhin unbeachtet, eine 1977 in der Zeitschrift Tintenfisch erschienene, immernoch erfrischende Tirade.
Die Lektüre ist ein anarchischer Akt. Die Interpretation, besonders die einzige richtige, ist dazu da, diesen Akt zu vereiteln.