Internet
Signieren und verifizieren
Jeder, der eine E-Mail-Adresse hat, und das ist heute fast jeder, kennt die Probleme mit unaufgeforderter Werbung und anderem Müll, Spam, Scam, Hoaxes, Phishing und Identitätsdiebstahl. Letztere Erscheinungen sind nicht zu unterschätzende Angriffe. Aber kaum jemand signiert oder verschlüsselt seine Mails, nicht einmal Mitglieder von Berufsgruppen, die durchaus zumindest gelegentlich vertrauliche Nachrichten per E-Mail austauschen (z.B. Ärzte, Anwälte, Lehrer). Dabei gibt es inzwischen Werkzeuge, welche die Verwendung asymmetrischer Schlüssel für Signieren oder Verschlüsseln auf Basis des Standards OpenPGP stark vereinfachen.[1] OpenPGP ist eine quelloffene Variante des Protokolls PGP (Pretty Good Privacy), deren Spezifikation u.a. von dessen Erfinder Phil Zimmermann formuliert wurde. Das Open-Source-Projekt GnuPG (GNU Privacy Guard) veröffentlichte die erste Version seiner Implementierung des Protokolls Ende 1999. Auf GnuPG basieren wiederum Werkzeuge, welche die Verwendung seiner Funktionen in E-Mail-Programmen erleichtern, z.B. EnigMail für die E-Mail-Programme Thunderbird und SeaMonkey (für Linux, verschiedene Unix-Varianten, u.a. Mac OS X, sowie für Windows) oder GPGMail für Apple Mail, Teil der Tool-Suite GPGTools für Mac OS X.
Die asymmetrische Verschlüsselung kann auch benutzt werden, um Nachrichten zu signieren – ohne den Inhalt zu verschlüsseln. Dabei wird eine Prüfsumme berechnet, die nur vom Besitzer des privaten Schlüssels erstellt werden kann. Der Empfänger kann den öffentlichen Schlüssel von einem Schlüssel-Server (key server)[2] herunterladen, um die Signatur – die Prüfsumme – zu verifizieren. Wenn am signierten Text etwas verändert wurde, stimmt die Prüfsumme nicht mehr. Während es bei Verschlüsselung um Vertraulichkeit geht, werden durch Signieren Urheberschaft und Integrität einer E-Mail verifizierbar.[3] Ob Signieren und Verschlüsseln: Wichtig ist in jedem Fall, dass der private Schlüssel nicht in fremde Hände gelangt. Der öffentliche Schlüssel muss dagegen dem Empfänger der Nachricht vorliegen. Deshalb wird er im Allgemeinen auf einem öffentlich zugänglichen Schlüssel-Server hinterlegt, wo sich jeder den Schlüssel herunterladen kann.
2.↑ Der älteste ist keyserver.pgp.com, der Schlüssel-Server der PGP Corporation (die inzwischen von der Symantec Corporation übernommen wurde).
3.↑ Auch beim Versand von sogenannten Online-Briefen über einen Dienst wie etwa De-Mail ist es übrigens durchaus ratsam – wenn es um Verschlüsselung vertraulicher Inhalte geht – zusätzlich OpenPGP zu verwenden, um die Daten zu verschlüsseln.
Film
Zahlen im Kopf
Gestern habe ich mir noch einmal Prénom Carmen (Vorname Carmen) angeschaut, meiner Ansicht nach einer der besten Filme von Jean-Luc Godard. Der mit 80 Minuten knapp abendfüllende Film von 1983 wirkt wie mit leichter Hand hingeworfen. Tatsächlich hat JLG /ʒi’ɛlʒe/ – wie Franzosen ihn in ihrer Vorliebe für Akronyme auch nennen – seine Art Filme zu machen mit der Herangehensweise von zwei oder drei Jazz-Musikern verglichen, die sich ein Thema geben, spielen, und dann kommt alles zusammen. Dass die Form aber doch kalkuliert ist, deutet er damit an, dass er in der Rolle des angeschlagenen, etwas durchgedrehten Regisseurs Jean häufig mit einem Rechenstab herumspielt, und beiläufig mit einem Mao-Zitat: Man muss die Zahlen im Kopf haben.[1]
Der Film ist ein Meisterwerk des vertikalen Schnittes. Die Musik besteht – bis auf wenige Ausnahmen – aus Ausschnitten aus Streichquartetten von Beethoven (hauptsächlich der letzten drei)[2], gespielt vom Quatuor Prat, das mehrmals auch zu sehen ist (die Violinistin Claire allerdings ist ein Double). Verschiedene Arten und Grade des Versatzes zwischen Bild- und Tonschnitt und der Überlappung und Überlagerung der Musik mit Stimmen und Geräuschen der Handlung werden durchgeführt, einschließlich der Überlappung der Streichquartettschicht mit sich selbst. Die Streichquartettschicht steht gleichberechtigt neben dem Handlungsstrang der Geschichte Carmens, sodass sogar das Verhältnis zwischen Hauptschicht und Einfügungen in der Betrachtung durchaus vertauscht werden kann. In einem Interview bezeichnete Godard Beethovens Quartette als zugrundeliegende Musik, die es erlaubt, die Handlung zu lenken. Beethovens Musik steht aber auch für intellektuelle Arbeit und methodische Betrachtung des Geschehens, und damit in einem gewissen Sinne auch für die Frau mit dem Vornamen Carmen, die sich eher nüchtern als leidenschaftlich zur Welt stellt.
Und ein Zitat aus Beethovens Tagebuch (nicht als solches gekennzeichnet) gegen Ende des Films erscheint als Begründung der Montagetechnik Godards: Die genaue Zusammenhaltung mehrerer Stimmen hindert im Großen das Fortschreiten einer zur anderen.[3] Ebenso wie die Musik aus dem Hintergrund tritt und als von Musikern gespielte sichtbar wird, wird die Handlung der Geschichte Carmens wie in einem Spiegel als gespielte gebrochen. Das fiktionale Illusionskino hat zwar den asynchronen Schnitt in sein technisches Repertoire übernommen, aber meistens nur als Mittel, die Schnittgrenze zu kitten. Bei Godard geht es bei der Verschiebung im Gegenteil darum, die Illusion aufzubrechen, einen Zwischentext zu gewinnen, in welchem sich die verschiedenen Schichten metafiktional kommentieren, und die Schichten als Schichten erfahrbar machen. Deshalb setzt er die Schnittkanten eher scharf als vermittelnd.
Godards Arbeitsprinzipien sind weniger Disposition und Organisation als Konzept und Improvisation. Isabelle Adjani empfand den Mangel an Vorbereitung und Vorhersehbarkeit bei den Dreharbeiten als traumatisch, die sie deshalb nach einer Woche verließ, was der jungen Schauspielerin Maruschka Detmers ein Film-Début in der Rolle als Carmen verschuf. Godards Arbeitsweise intendiert die kreative Freiheit des Filmautoren, weniger die der Schauspieler und der anderen Mitwirkenden, die durchaus vorhanden sein kann, wenn auch nicht unbedingt immer als selbstbestimmte. Dennoch erscheinen alle seine Filme als kollektive Improvisation innerhalb eines Rahmens, der durch Plot und Gestaltungsprinzipien gesteckt wird.
Die Adaption des schon hundertfach adaptierten Carmen-Stoffes ist Adaption an sich, und sie wird von Zitaten (und Scheinzitaten) unterschiedlichster Herkunft durchsetzt. Godard und seine Drehbuchautorin Anne-Marie Miéville verlegen die Handlung, die nur punktuell an die Novelle von Prosper Mérimée anknüpft, in die Gegenwart. Carmens Milieu ist eine Gruppe von Terroristen. Deren erster Überfall auf eine Bank wirkt wie eine wilde Slapstick-Einlage.[4] Bei einem Treffen mit dem Chef der Terroristen in einem Bistro hat Jean, den diese für die Tarnung eines weiteren Überfalls als Dreharbeiten missbrauchen wollen, ein Buch über Buster Keaton bei sich. Im Luxushotel, in dessen Speisesaal der zweite Überfall stattfinden wird, manifestiert sich die Entfremdung zwischen Carmen und Joseph, dessen besitzergreifende Liebe eine liebevolle Begegnung der beiden unmöglich macht. Der im Hotelzimmer verlassene Joseph lässt eine Hand über den Fernsehschirm hängen, über den Rauschkörner flimmern. Dazu erklingt in einer Ausnahmestellung der Musikschicht Ruby’s Arms von Tom Waits, eine klanglich rauhe, in der Verschmutzung Verletzlichkeit offenbarende Ballade vom Ende einer Liebe.
Momente der Nähe hatte das Liebespaar in der Ferienwohnung des Regisseurs am Meer. Der ruhige Mittelteil des Films ist gewissermaßen ein Adagio, das von zwei Allegro-Teilen umrahmt wird. Das Rauschen der Brandung am Strand der Normandie, das in wechselnden Einstellungen eine weitere Schicht im Gefüge der Gegenschnitte bildet, verdoppelt die Beruhigung des Atemflusses. Die Entrückung, welche die Nähe herstellt, der scheinbare Stillstand der Zeit, drückt sich in einem längeren Wegfall des Originaltons aus. Zuvor hatten sie eher aneinander vorbei geredet. Carmen sagt ihm, dass sie den Leuten zeigen will, was eine Frau mit einem Mann macht, und greift ihm zwischen die Beine. Am Ende wird sie fragen, warum es Männer gibt.
Am Anfang des Films zieht Jean die Krankenschwester anzüglich auf, indem er meint, er würde vielleicht Fieber bekommen, wenn sie ihre Finger statt des Thermometers in ihn steckte und bis 33 zählte. Gegen Ende des Films bedankt er sich bei ihr, die ihn als Pflegerin und Sekretärin begleitet, dass sie sich Zeit genommen habe bis 33 zu zählen. Die Zahl bezieht sich auf die Anzahl der Gestaltungselemente (Einstellungen) davor: Ein metafiktionales Lob der Sublimation.
2.↑ Ausschnitte aus den letzten drei Streichquartette Beethovens Nr. 14-16 opp. 131, 132 und 135, sowie aus zweien der mittleren Schaffensperiode, Nr. 9 op.59 und Nr. 10 op.74.
3.↑ So der originale Wortlaut in Beethovens Tagebuch. In der deutschen Synchronfassung steht hier eine weniger klare Rückübersetzung der französischen Fassung: L’union parfaite de plusieurs voix empêche, somme toute, le progrès de l’une vers l’autre.
4.↑ Die Einstellung mit der Reinigungsfrau ist dagegen vielleicht eine Allusion an eine Stelle im Roman Der Schaum der Tage von Boris Vian, in der verunglückte Eisläufer von der Eisfläche getragen werden, während die anderen sich weiter vergnügen.
Internet
Gefällt mir
Manch einer sieht in Facebook gar eine fatale Gefahr für die Privatsphäre (wie etwa Eben Moglen in seinem Vortrag Freedom in the Cloud). Doch auch jeder, der es nicht ganz so drastisch sieht, muss den Dienst äußerst kritisch sehen, wenn ihm Privatsphäre etwas wert ist. Dass der Big Brother Award in der Kategorie Kommunikation in diesem Jahr wegen ihrer zweifelhaften Datenschutzrichtlinien an Facebook (sowie an Apple) ging, ist eine fast verharmlosende Begründung angesichts der Vervielfachung der Fangarme des Datenkraken Facebook. Von diesen Fangarmen ist auf Seiten des Benutzers allerdings nicht viel mehr als eine Schaltfläche mit der Aufschrift Like zu sehen.
Es hat einen guten Grund, dass auf Werbeplakaten zunehmend ein Facebook-Link, und nicht mehr die Web-Adresse der werbenden Firma angegeben wird: Facebook bietet den Firmen eine bessere Aufschlüsselung der Aufrufe des Links und ihrer Herkunft – Besucher mit einem Benutzerkonto bei Facebook sind nicht mehr anonym. Die Frage ist also nicht, ob private Daten in Facebook durch ein mehr oder weniger gutes Passwort vor „fremden Augen” geschützt sind. Facebook ist der Krake: Das Geschäft von Facebook besteht darin, Daten der Mitglieder zu sammeln, auszuwerten, zu konfektionieren und zu verkaufen.
Die Einbettung der anklickbaren Fläche mit Beschriftung „Like” (de. „Gefällt mir”, „Empfehlen”, fr. „J’aime”, es. „Me gusta”) und einem kleinen Symbol, das einen nach oben zeigenden Daumen darstellt, verbreitet sich zunehmend auf kommerziellen und nicht-kommerziellen Web-Seiten, etwa von Nachrichtenportalen, Filmwerbeseiten, Foren, Blogs, und führt dem Kraken immer mehr Daten zu. Oberflächlich dient sie dazu, Zustimmung zur einbettenden Web-Seite an die Facebook-Freunde zu übermitteln. Das Anklicken der Fläche ist jedoch gar nicht notwendig, um Facebook über den Besuch der Seite zu informieren, in welche die Schaltfläche eingebettet ist. Die Einbettung bedingt, dass schon der Aufruf der Seite an Facebook übermittelt wird, zusammen mit dem identifizierenden Facebook-Cookie. Wenn es keinen Cookie gibt, genügt die momentane IP-Adresse, um verschiedene Seitenaufrufe einem Internet-Zugang zuzuordnen. Dadurch gelangt Facebook in die Lage, Surf-Profile seiner Mitglieder zu erstellen. Nur Seitenaufrufe von Nicht-Mitgliedern, die allerdings ebenfalls an Facebook übermittelt – und wahrscheinlich ebenfalls ausgewertet – werden, bleiben anonym. Eingebettete Schaltflächen der sozialen Netzwerke Twitter und Google+ funktionieren übrigens genauso. Dass Google für sein soziales Netzwerk die Angabe des echten Namens des Nutzers verlangt, erscheint vor diesem Hintergrund ebenfalls ziemlich verdächtig.
Auf den Unwillen von Facebook stoßen – weil sie ihren Interessen zuwiderlaufen – datenschutzfreundliche Alternativlösungen wie die Zwei-Klick-Lösung des Heise-Verlages, bei der Daten nur mit Zustimmung des Nutzers an Facebook gesendet werden. Wenigstens einige Web-Site-Betreiber hat dies nicht davon abgehalten, das ausspähende Like durch eine auf Zustimmung basierende Lösung zu ersetzen. Eine solche Lösung gefällt mir besser. Besuche von Web-Seiten, die ihre Facebook-Anbindung in der von Facebook vorgegebenen Weise gestalten, dienen hingegen den kommerziellen Interessen der 2-Milliarden-Firma Facebook (Umsatz 2010) und ihrer zahlenden Kunden. Die letzteren geben sich häufig als solche zu erkennen, indem sie den Facebook-Daumen auf ihren Werbeplakaten abbilden.
Wein
Käse und Wein
Entgegen dem landläufigen Klischee – das Bild eines Franzosen mit Baskenmütze, der seinen kurbelstartenden zwei Pferde abstellt und mit Baguette, Brie und Rotwein ins Haus geht – vertragen sich Rotwein und Käse im Mund eher selten. Mimolette, ein rötlicher Hartkäse aus Kuhmilch aus Nordfrankreich, und ein roter Bordeaux sind ein klassisches Paar. Ansonsten kann ich mich an keine Kombination eines gerbstoffreichen Weins mit Käse erinnern, bei der beide Bestandteile gewonnen hätten – vielleicht muss ich sie noch entdecken. Ein „großer” Wein stellt sich ohne Frage stets am besten für sich allein dar – ein Käse würde nicht nur die Sinne verwirren, sondern möglicherweise, etwa durch Fett, die Rezeptoren verschließen. Bei einer guten „Heirat”, wenn diese möglich ist, können dagegen Wein und Käse gewinnen. Wein und Speise aus der gleichen Gegend passen oft gut zusammen, ergänzen sich sogar mitunter zu einem kulinarischen Ganzen, das mehr ist als die Summe seiner Teile, besonders bei Käse. So ist z.B. Époisses, ein Weichkäse aus Kuhmilch, dessen Kruste zur Verfeinerung mit Marc de Bourgogne abgerieben wird, ein ausgezeichneter Partner für einen roten Bourgogne. Jedoch überwiegen bei den erfolgreichen Verbindungen (in meiner Erfahrung) diejenigen mit Weißwein.
Auf einer Reise durch das Loire-Tal erfuhren wir, meine Frau und ich, dass sich die dort angebauten Weine zusammen mit Ziegenkäse zu einem kulinarischen Genuss verbinden, der Käse und Wein überhöht: Sauvignon-Weißweine des Berry – die Appellationen Sancerre und der Blanc-fumé des gegenüberliegenden Pouilly am Rand der Bourgogne, das benachbarte Menetou-Salon, das kleine Einzelgebiet Quincy westlich von Bourges – und Chenin-Weißweine der Loire, die trocken bis edelsüß (sec, demi-sec, mœlleux, doux) ausgebaut werden – Vouvray und Montlouis-sur-Loire nördlich und südlich der Loire, sowie die sehr kleine Appellation Jasnières am Loir. Was die Verbindung mit dem Wein angeht, ist jede der Käsesorten mit AOC wie Crottin de Chavignol, Selles-sur-Cher, Valençay du Berry, Pouligny-Saint-Pierre, Sainte-Maure-de-Touraine ebensogut wie ein einfacher Crottin von der Ecke, wie die Ziegenkäsebällchen genannt werden, wörtlich „Köttel”, die überall in der Gegend in vier Abstufungen zwischen frisch und sehr trocken (frais, demi-sec, sec, très sec) angeboten werden. Die weicheren Käsesorten verbinden sich auch gleichzeitig im Mund sehr angenehm mit dem Wein.
Vouvray und Montlouis-sur-Loire bestehen mit ihrer Verbindung aus Süße und Säure auch außerordentlich gut gegen den „fraglos besten Käse Europas”, zu dem schon die Enzyklopädie von Diderot und d’Alembert den Roquefort erklärt hat. Der weltberühmte Blauschimmelkäse aus Schafsmilch wird weit südlich vom Loire-Tal, am Rand der Pyrenäen hergestellt. (In einer gutsortierten Käsehandlung in Frankreich wird die Frage nach einem Roquefort mit der Gegenfrage beantwortet: „Welchen bitte?”. Ich hatte allerdings noch keine Gelegenheit, die Unterschiede zwischen vielleicht einem Dutzend verschiedener Angebote herauszufinden.) Auch anderer Blauschimmelkäse wie etwa Bleu des Causses oder Bleu d’Auvergne passt gut, denn der halbsüße Wein von der Loire – in der Variante mœlleux – tritt mit seiner Säure gegen das Fett, mit seiner Süße gegen die Salzigkeit und mit seinem changierenden Aromaspiel gegen das intensive Blauschimmelaroma an. Wobei hier Käse und Wein sich eher in abwechselnder Aufeinanderfolge ergänzen. Auch kräftiger Rotwein, etwa ein Minervois, nicht in neuem Holz ausgebaut, verbindet sich gern mit einem Bleu, aber diese Verbindung hat einen ganz anderen, der Farbe entsprechend eher dunkleren Charakter.
Bei der Kombination von Käse und Wein gibt es übrigens nicht nur französische, sondern auch einen englischen Klassiker: Stilton, ein Blauschimmelkäse aus den englischen Midlands, geht sehr gut zusammen mit Portwein. Da für Wein auf den britischen Inseln zu wenig Sonne scheint, muss der Wein importiert werden. Das trifft für Deutschland nicht zu, allerdings gibt es hier keine große Auswahl an traditionellen Käsesorten. Typisch deutsch sind Harzer und Mainzer, wobei es sich um Gelbkäse aus Sauermilch handelt, der fettarm, eiweißreich und salzig ist. Der Wein zu einem solchen Käse sollte nicht viel Säure, jedoch ausreichend Restsüße aufweisen, wie etwa eine eher fruchtige Riesling-Spätlese vom Mittelrhein. Ansonsten erscheinen mir deutsche Weine zu Käse (insbesondere französischem) oft eher wie verlegene Stellvertreter: Ohne zu verkennen, dass deutsche Winzer heute hohe Qualität erzielen (wie auch Winzer in anderen Gegenden der Welt, die in der Vergangenheit nicht unbedingt für höchste Qualität standen), meine ich doch, dass zu Käse aus Frankreich am besten, sorgfältig ausgewählt, französische Weine passen. Bei einem Verdikt dieser Art kann es gleichwohl ein großes Vergnügen sein, widerlegt zu werden.
Fotogalerien
Falschfarben
In der Sologne habe ich noch einmal ein paar Waldfotos geschossen. Im Hintergrund waren mitunter Gewehrschüsse zu hören, vermutlich von einer Entenjagd. Es war bewölkt, ab und zu ging ein leichter Schauer nieder, dann brach das Sonnenlicht wieder durch die Baumwipfel. Die Sologne ist eine eher karge Landschaft, in der sich Heide, Sumpf und Wald abwechseln, durchsetzt von vielen kleinen Seen. Die Wälder sind fast ausschließlich in Privatbesitz. Das für die Jagd im Herbst benötigte Wild wird mittlerweile aus Zuchtanlagen gebracht und hier ausgesetzt. Die Wälder werden kaum für die Holzwirtschaft genutzt, was ihnen einen leicht verwunschenen Charakter bewahrt. Vielleicht hat mich das dazu inspiriert, bei dieser zweiten Serie von Waldbildern mit den Farben zu experimentieren. Bei der ersten Serie hatte ich mich noch darauf beschränkt, die Bilder zu „entwickeln”, mit natürlichen Farben und natürlichem Kontrast. Diesmal habe ich etwas mehr an den Farbkanälen gedreht, nicht nur an ihrem Verhältnis zueinander, sondern auch an ihren Farbwerten, in den verschiedenen Helligkeitsbereichen (Lichter, Mitten, Tiefen) unterschiedlich. Bei manchen Bildern ist die surreale Wirkung subtiler, bei anderen stärker. Bei einigen habe ich auch (nach Tonwert ausmaskierte) Teilbereiche nachträglich „verwackelt” und weichgezeichnet. Durchaus damit spielend, dass Farben emotionale und assoziative Belegungen haben, wollte ich keineswegs irgendeine bestimmte Bedeutung oder Aussage herstellen. Vielmehr ging es mir bei jedem Bild in erster Linie darum, einen bestimmten binären Aspekt eines Bildes herauszuheben und seine Komponenten gegeneinander zu setzen, den Gegensatz zu verstärken. Durch den experimentellen Ansatz fällt die Serie ein wenig auseinander. Bei jedem Bild bin ich intuitiv, ausprobierend, sozusagen naiv in eine andere Richtung gegangen. (Zur Fotogalerie→)
Dies und das
Op de Heid
Der Kleingarten, das kleinbürgerliche Refugium. erhält durch Initiativen für eine autarke Lebensmittelversorgung heute wieder einen emanzipatorischen Aspekt. Eine Reihe von Kleingartenkolonien in Düsseldorf entstand in einer Zeit, die für weite Teile der Bevölkerung durch Hunger und Wohnungsnot geprägt war. 1919 begann das Gartenamt damit, Brachland in Parzellen aufzuteilen und als Kleingärten an private Haushalte abzugeben, um diesen Gelegenheit zu geben, ihren Bedarf an Nahrungsmitteln durch Selbstversorgung zu decken. Weiterlesen →
Garten
Sinnbild
In Bourges, einst als Avaric Zentrum des gallischen Stamms der Bituriges Cubi, wie der Eroberer Cæsar sie nannte, fließen mehrere Flüsse zusammen, was die Bildung von Sümpfen begünstigt. Für die römischen Legionen waren diese ein gefährliches Hindernis bei der Eroberung der Schlüsselstadt des mittleren Galliens. Zwei Jahrtausende später ist das moorige Gebiet im Osten der Stadt, die Marais de Bourges, gleich nach der Kathedrale seine herausragendste Sehenswürdigkeit (wobei das Herausragen auf die Kathedrale auch wörtlich zu verstehen ist, während es sich bei den Kleingärten, welche die Marais inzwischen sind, natürlich nur auf ihre Einzigartigkeit bezieht). Die Trockenlegung und Bewirtschaftung begann im 17. Jahrhundert. Mit der Enteignung des Klerus durch die revolutionäre Verfassungsversammlung 1789 entstand eine kleinteilige Parzellierung. Heute teilen sich rund 1.000 Eigentümer etwa anderthalb mal soviel Parzellen auf einem Terrain von 150 Hektar, das sich in 27 Teilgebiete (quartiers) gliedert, die unterschiedlich hoch liegen, auf andere Weise trockengelegt wurden, oder durch einen der beiden durchziehenden Flüsse, Langis und Yèvre, der Voiselle oder einer ihrer anderen Nebenarme, dem großen oder einem der kleineren Entwässerungskanäle von den anderen Quartiers getrennt werden. In einigen Quartiers sind die einzelnen Parzellen ganz von Wasser umflossen und nur mit dem Boot zu erreichen. Die Barken werden wegen des niedrigen Wasserstandes mit Staken bewegt. Ein Vergleich mit Venedig ist somit fast unvermeidlich – nur sind die Marais von Bourges, anders als die Serenissima – die dem, der nicht in einen der dort hinter Mauern versteckten Gärten Einlass findet, als ein Meer von schöngeformtem Stein erscheint – grün und grün.
Drei Jahrhunderte lang, bis in das 20. Jahrhundert hinein verdienten sich hier Pächter ihren Lebensunterhalt mit Hanf-, Gemüse- und Obstanbau. Maraîchère und maraîcher von heute suchen Erholung von ihrem Alltag. (Das Wort maraîcher bedeutet Bewohner eines Sumpfgebietes oder, ungeachtet der Art des bearbeiteten Bodens, Gemüsegärtner.) Nebenbei beteiligen sie sich am Schutz eines Landschaftsdenkmals (site classé seit 2003). Durch das allgegenwärtige Wasser stellt sich – nicht nur auf einer ganz vom Wasser eingeschlossenen Parzelle – eine Art Inselgefühl ein. Wer als Weltbewohner eine Insel betritt, muss seinen Umgang mit Raum und Zeit auf einen Mangel an Reichweite und Abwechslung einstellen, der sehr entspannend wirken kann. In diesem Sinne erscheinen mir die Kleingärten der Marais de Bourges als Sinnbild eines Gartens.
Film
Leichtigkeit
Woody Allens Midnight in Paris ließ mich, als ich aus dem Kino kam, an die Prinzipien der ’Pataphysik denken, in erster Linie an die Methode, Metaphern und Tagtraummotive als Eintrittstore zu einer Parallelwelt zu verwenden, in der die erste Realität auf absurde Weise gespiegelt wird. Zwar war mir gleichzeitig bewusst, dass diese Assoziation (sie entsprang wohl meiner kürzlichen Lektüre von Boris Vians Erzählband Les Fourmis) in ihrer halbgebildeten Oberflächlichkeit der des Films gleich kommt – aber nach etwas Nachdenken wurde mir klar, dass sie doch danebengreift, denn Allens Parallelwelt bezieht sich nicht als Hyperrealität auf die Realität, sie ist nur einfach parallel, eine Flucht aus dem Heute – als Beschreibung des Heute mit seiner Tendenz zur Flucht. Vielleicht liegt die Assoziation auch nicht völlig daneben, denn die Schlussfolgerung, die mir auf der Zunge lag, erscheint mir nicht ganz falsch: Woody Allen zieht dem Absurden die spitzen Zähne – und zeigt die Milchzähne, die märchenhafterweise unter diesen liegen. Seine Oberflächlichkeit weiß um das Weh, dass die Welt nicht so ist, wie wir sie uns wünschen – und möglicherweise auch nicht besser, wenn sie so wäre – und sagt zugleich: Sei leicht. Die Oberflächlichkeit der handelnden Personen auf der realen Ebene – die allenfalls Probleme mit sich und ihren Mitmenschen, keinesfalls soziale oder finanzielle haben – und die Klischeehaftigkeit der Repräsentanten der goldenen Zeitalter, an denen Allens verjüngtes Alter Ego Gil schlendernd vorbeizieht, sind nicht nur inhaltliches und stilistiches Prinzip, sondern Quintessenz: Das Leben hat keinen Sinn, die Welt ist verrückt, in welches Restaurant gehen wir heute Abend? Oder anders: Dem Mangel an Wahrem mag nicht abzuhelfen sein, aber der Mangel an Zauber kann durch Leichtigkeit mindestens ausgeglichen werden.
Kunst
Pastiche
In der Zeit nach der Moderne, in der Postmoderne gibt es in der Kunst – was ihre Analytiker als Reflex dessen eingeordnet haben, was sie als Beliebigkeit oder Austauschbarkeit bezeichnet haben, eine Folge der Anonymisierung des Kapitals – keinen allgemeingültigen Stil, damit aber auch keinen Personalstil mehr, der sich von einem verbindlichen Zeitstil absetzte, oder irgendeinen individuellen, vom Künstler erfundenen Stil, da alle stilbildenden Varianten bereits ausprobiert wurden. Dem Künstler bleibt nur das Pastiche, also das Aufgreifen stilistischer Merkmale ohne kritische Absicht (im Gegensatz zur Parodie): Jede Kunst ist heute eine Form von Wiederholung. Weiterlesen →
Kunst
Scherben
Nicht nur für Liebhaber künstlerischer Keramik, auch für Kunstinteressierte wäre es ein Versäumnis, etwa auf einer Fahrt zwischen Sancerre und Bourges (oder gelegentlich Degustationen bei Winzern der Appellation Menetou-Salon), nicht einen Abstecher zum Weiler La Borne (im Kanton Henrichemont) zu machen. (Der Titel des Artikels übrigens meint den Scherben, fr. tesson, wie in der Töpferei gebrannter Ton als Werkstück genannt wird.) In La Borne und Umgebung leben heute etwa achtzig Keramikerinnen und Keramiker, französischer und ausländischer Herkunft, die auf die Tradition des Ortes Bezug nehmen, und sich gegenseitig unterstützen und beeinflussen. In der Gegend kommt Ton in einem Mineralgemisch vor, das sich für die Herstellung von Tongut hervorragend eignet. Viele Jahrhunderte lang wurde in den Brennöfen von La Borne Steingut hergestellt und im weiteren Umkreis verkauft, der Ruf einiger Werkstätten reichte über mehrere Generationen hinweg weit über die Grenzen der Region hinaus, bis die zunehmende Konkurrenz der industriellen Produktion von Geschirr und Gefäßen im vergangenen Jahrhundert die kleinen Betriebe wie der der Familie Talbot, die sich vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts einen Namen gemacht hatte, nach und nach zur Aufgabe zwang. Weiterlesen →